Leahs Vermächtnis (Berg und Thal Krimi) (German Edition)
diesen Fällen beteiligt. Er kam nicht weiter. Er musste seine Recherche zeitlich ausdehnen, dazu war er jetzt aber zu müde. Er griff zum Telefonhörer und bat den Diensthabenden in der Zentrale, morgen spätestens um fünf Uhr das Hauptpostamt anzurufen. Post für Alexander Thal durfte auf keinen Fall zugestellt werden, sondern sollte sofort separat in eine Plastiktüte gelegt werden. Anschließend sollte man ihn umgehend informieren. Es galt zu verhindern, dass viele Menschen ihre Fingerspuren auf dem Umschlag hinterließen. Der Beamte in der Zentrale notierte sich seine Telefonnummern und wünschte ihm noch einen schönen Abend.
Thal schaltete den PC aus und öffnete die Schreibtischschublade, um sein Handy einzustecken. »Ein Anruf in Abwesenheit« stand auf dem Display. Außerdem blinkte das Briefsymbol, der Anrufer hatte eine Nachricht hinterlassen. Thal rief die Mailbox an. Sekunden später hörte er die Stimme seines Sohnes.
»Hallo Paps! Bist du schon im Bett? Schau dir morgen die Bilder auf Seite drei des Lokalteils genauer an. Mehr konnte ich nicht tun. Ich hoffe, du bist zufrieden. Gute Nacht.«
Thal lächelte, als er das Licht in seinem Büro löschte. Auf seinen Sohn hatte er sich immer verlassen können.
Kaum trat er auf den Platz vor dem Polizeipräsidium, hörte er den Lärm aus der Altstadt. Es hatte keinen Sinn, jetzt in seine Wohnung zu gehen. Bei dem ohrenbetäubenden Krach würde er keine Ruhe finden, also entschloss er sich zu einem Spaziergang in Richtung Stromeyersdorf. In einer alten Fabrikhalle im Gewerbegebiet, unweit des Biergartens, in dem im Sommer kaum ein Platz zu bekommen war, hatte Leah ihr Atelier. Er war seit dem letzten Sommerfest, also fast ein Dreivierteljahr, nicht mehr dort gewesen. Überhaupt hatte er das Studio noch nie ohne seine Frau betreten. Je weiter er rheinabwärts ging, desto stiller wurde es. Es begegneten ihm nur vereinzelte Fußgänger, die auf dem Heimweg vom fastnächtlichen Treiben waren. Thal brauchte eine halbe Stunde, ehe er vor dem ausladenden Eisentor stand, das mit einem massiven Vorhängeschloss gesichert war. Seine Hände waren steif von der Kälte. Das Schloss sprang erst nach einigen Versuchen mit einem dumpfen Klacken auf. Vorsichtig stieß er die Tür auf, was einen solchen Lärm verursachte, dass der Hund eines Wachmanns, der seinen routinemäßigen Rundgang in einem mehr als dreihundert Meter entfernten Bürogebäude begonnen hatte, anschlug. Rasch stoppte Thal das weitere Öffnen der Tür und schlüpfte durch den Spalt in die Halle. Er brauchte eine Weile, bis er einen Lichtschalter fand. Offensichtlich war es der Hauptschalter, denn kaum hatte er ihn betätigt, flammten überall im Raum Lampen auf. Thal schloss die Tür, was erneut nicht geräuschlos ging. Als er sich umblickte, stockte ihm der Atem. Unzählige Lichtquellen an der Decke, an den Wänden und auf den Boden, große und kleine Leuchten, einige mit riesigen Schirmen, wie er sie von Fotografen kannte, tauchten die gesamte Halle in helles, angenehmes Licht. Die Lichtquellen waren so angeordnet, dass eine natürliche Lichtstimmung entstand. Man konnte fast den Eindruck haben, an einem schönen Sommertag am Strand zu sitzen. Obwohl die Temperatur in der Halle nicht über zehn Grad lag, war es Thal zu warm. Er öffnete den Mantel und war beim letzten Knopf angelangt, als sein Handy piepste. Er zog es aus der Tasche. Auf dem Display stand: »Willkommen bei Swisskomm«. Das Schweizer Netz war wie so oft stärker als das deutsche. Thal wollte jetzt nicht gestört werden und schaltete das Telefon aus.
Das Atelier hatte eine Grundfläche von etwa fünfundzwanzig mal fünfzehn Metern und war mehr als sechs Meter hoch. An der rechten Längsseite lief in halber Höhe und über die gesamte Länge eine Galerie, die rund vier Meter in den Raum hereinragte. Man erreichte sie über eine steile Eisentreppe direkt neben dem Eingang. Die Galerie hatte Leah als Büro, Archiv und Bibliothek gedient. Die wichtigsten Unterlagen lagen in Stahlschränken aus dem Inventar der Fabrik, deren Arbeiter in dieser Hall einst Textilien gewebt hatten.
Am Kopfende der Halle befand sich die kleine Küche mit einer Kaffeemaschine, Wasserkocher, Kochplatte und Kühlschrank. Hatte sich jemand um den Inhalt des Eisschranks gekümmert? Thal öffnete vorsichtig die Tür – leer. Tobias hatte wohl für Ordnung gesorgt, ohne ihn damit zu belasten.
Thal wanderte durch die Halle, die der Lebensmittelpunkt seiner Frau
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