Leahs Vermächtnis (Berg und Thal Krimi) (German Edition)
einige der Taten mehr als zehn Jahre zurücklagen. Zwei Fälle strich er sofort aus seiner Liste. Die Täter waren einfache, brutale Schläger, beide wegen Vergewaltigung und Totschlag zu acht bzw. neun Jahren Haft verurteilt. So unangenehm die Typen sein mochten, als Fotograf kamen sie nicht in Betracht. Blieben drei kürzlich entlassene Täter übrig, denen er die Tat von ihrer Intelligenz und kriminellen Kreativität zutraute. Allerdings hatten sie bisher niemals Gewalt gegen Frauen angewandt. Verurteilt wurden sie nicht wegen Sexualdelikten, sondern für Raubüberfälle, Totschlag bzw. Anstiftung zum Mord. Wenn diese Männer sich an dem Kommissar rächen wollten, der sie hinter Gitter gebracht hatte, engagierten sie eine Schlägertruppe, die ihm nachts auflauerte und ihn erschlug. Oder sie beauftragten einen Berufskiller, ihn mit einem Präzisionsgewehr zu erschießen, während er unter der Dusche stand.
Obwohl er sicher war, dass sie nicht als Täter infrage kamen, notierte er sich Namen und Daten der drei alten Klienten. Eine Überprüfung ihres Aufenthaltsortes und ihrer Alibis ließe sich schnell erledigen, ohne dass Schober davon erfuhr.
Thal lehnte sich in seinem Sessel zurück. Jagte er einem Phantom nach? War es ein dummer Fastnachtsscherz? Sein Gefühl deutete in eine andere Richtung, und wenn er in vierzig Jahren im Polizeidienst etwas gelernt hatte, war es, seinem Gefühl zu folgen.
Kapitel drei: Die Hingabe
Es war schwierig, mit den Handschuhen den winzigen Chip aus der Kamera zu nehmen und in den Umschlag zu stecken, zumal seine Hände noch von der Erregung der letzten Minuten zitterten. Was für eine Schönheit hatte er da aufgetan. Und wie bereitwillig sie ihm Modell saß. Fast glaubte er, die Tropfen nicht zu brauchen. Höchstwahrscheinlich hätte sie freiwillig mitgemacht.
Er trat aus dem Hauseingang auf die Marktstätte. Hier war es erstaunlich ruhig, während zweihundert Meter weiter die Fastnacht brodelte. Menschen tanzten entfesselt durch die Straßen, aufgepeitscht von stampfenden und scheppernden Schlagwerken der Guggemusiken, was ihn hier nur noch als sanftes Brummen erreichte.
Fast hätte er sein Werk abgebrochen, als er merkte, dass sie nicht zu sich nach Hause ging. Er hatte keine Ahnung, warum sie um diese Zeit die Zahnarztpraxis betrat. Auf jeden Fall kannte sie sich gut aus, denn sie bewegte sich sicher durch die Räume. Bestimmt arbeitete sie hier. Gut, dass er seine Entscheidung noch einmal überdachte. Der Behandlungsstuhl war das perfekte Mobiliar für die heutige Szene.
Er überquerte mit schnellen Schritten die breite Marktstätte. Fast übersah er den Rettungswagen, der zwar mit Blaulicht, aber ohne Martinshorn in Richtung Obermarkt raste. Der Fahrer wedelte mit der Hand vor seiner Stirn, als er sich mit einem beherzten Sprung zur Seite in Sicherheit brachte.
Er atmete tief ein.
»Konzentration«, befahl er sich laut und deutlich. »Konzentration«.
Er erreichte die Briefkästen auf der anderen Straßenseite. Mit der rechten Hand steckte er den Brief in den Schlitz. Auf dem Ärmel seines Mantels entdeckte er einen Zwei-Euro-Stück großen, dunkelroten Fleck. Hoffentlich war kein Blut auf den Briefumschlag getropft. Er musste präziser arbeiten, durfte nicht unvorsichtig werden.
Andererseits: Was sollte der Herr Kommissar mit dem bisschen Blut anfangen. Das brachte ihm nichts. Gar nichts.
***
Erst um halb zehn betrat Thal erneut Bettina Bergs Büro. Er hätte zu gerne noch mit der Kollegin geplaudert, aber sie hatte das Präsidium bereits verlassen und saß wohl längst in ihrer ruhigen Wohnung weitab vom Lärm, der ihn zu Hause in der Altstadt erwartete.
In den vergangenen zwei Stunden war er alle Fälle von Vergewaltigungen und Belästigungen von Frauen der letzten zehn Jahre durchgegangen. Dabei fiel ihm kein Muster auf, das auf den Fotografen hindeuten könnte. In keinem einzigen Fall wurde der Täter vor Kurzem entlassen, und er konnte sich keine Motive vorstellen, weshalb sich einer der Täter an ihm rächen sollte. Als er über das Rachemotiv nachdachte, kam ihm der Gedanke, dass es genau umgedreht sein könnte. Möglicherweise war der Fotograf ein Opfer, das ihn beschuldigte, nicht konsequent ermittelt zu haben. Also suchte er nach offenen Fällen. Es gab zwar einige Anzeigen von sexueller Belästigung und Vergewaltigung, in denen bisher kein Täter ermittelt werden konnte, doch weder Thal persönlich noch das KK 1 waren in
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