Lean In: Frauen und der Wille zum Erfolg (German Edition)
Day O’Connor am Obersten Gerichtshof, Sally Ride im Weltall.
Angesichts all dieser Fortschritte begann ich mein Studium in dem Glauben, die Feministinnen der Sechziger und Siebziger hätten die Chancengleichheit für meine Generation schon erreicht. Und dennoch, hätte mich irgendjemand als Feministin bezeichnet, hätte ich das schnell korrigiert. Laut der Soziologin Marianne Cooper (die mit ihren Forschungsergebnissen auch maßgeblich zu diesem Buch beigetragen hat) ist das bis heute die gängigste Reaktion. In ihrem Artikel aus dem Jahr 2011 , »The New F-Word« (»Das neue F-Wort«), schreibt Marianne über ihre Englisch-Professorin am College, Michele Elam. In ihrem Seminar »Einführung in die Feministischen Studien« fiel dieser Professorin etwas Seltsames auf. Obwohl ihre Studenten genug Interesse am Thema Gleichberechtigung der Geschlechter hatten, um ein ganzes Seminar dazu zu belegen, fühlten sich sehr wenige »damit wohl, das Wort ›Feminismus‹ zu benutzen. Und noch ›weniger bezeichneten sich selbst als Feministinnen oder Feministen‹.« Wie Professor Elam bemerkte, »war es‚ als ob als Feminist bezeichnet zu werden, für denjenigen bedeutete, einen widerlichen Spitznamen verpasst bekommen zu haben«. 2
Es klingt wie ein Witz: Haben Sie von der Frau gehört, die ein Seminar in Feministischen Studien belegt hat und wütend wurde, wenn man sie als Feministin bezeichnet hat? Aber als ich auf dem College war, lebte ich mit genau dem gleichen Widerspruch. Einerseits gründete ich eine Gruppe, die mehr Frauen dazu ermutigen sollte, Wirtschaftswissenschaften oder Politikwissenschaft als Hauptfach zu wählen. Andererseits hätte ich bestritten, in irgendeiner Weise Feministin zu sein. Auch keine meiner Freundinnen auf dem College sah sich selbst als Feministin. Es macht mich traurig, dass wir die Repressalien gegen Frauen um uns herum damals nicht gesehen haben. 3 Wir nahmen die hässliche Karikatur der BH -verbrennenden, humorlosen und männerhassenden Feministin einfach hin. Diesem Vorbild wollten wir nicht nacheifern – auch deswegen, weil so jemand wohl kaum einen Freund abbekommen würde. Fürchterlich, ich weiß – welch traurige Ironie, dass der Feminismus abgelehnt wird, um die Aufmerksamkeit und Zustimmung von Männern zu gewinnen. Zu unserer Verteidigung kann ich sagen, dass meine Freundinnen und ich naiverweise glaubten, dass Feministinnen überflüssig geworden waren. Fälschlicherweise dachten wir, es gäbe nichts mehr, wofür man kämpfen müsse.
Diesem Glauben hing ich auch bei meinem Einstieg ins Berufsleben noch an. Ich ging davon aus, falls es doch noch Sexismus gäbe, würde ich einfach beweisen, dass er falsch ist. Ich würde meine Aufgaben erledigen, und zwar gut. Ich wusste damals nicht, dass das Problem zu ignorieren eine klassische Überlebenstechnik ist. Innerhalb traditioneller Institutionen hing Erfolg häufig davon ab, ob es einer Frau gelang, ihre Meinung für sich zu behalten und sich schön anzupassen – oder umgangssprachlich ausgedrückt, ob sie »einer von den Jungs« war. Die ersten Frauen in der Wirtschaft trugen maskuline Anzüge und Hemden mit Knopfleiste. Eine gestandene Bankerin erzählte mir einmal, dass sie ihr Haar zehn Jahre lang zum Dutt gebunden trug. Niemandem sollte auffallen, dass sie eine Frau ist. Und auch wenn sich die Kleiderordnung entspannt hat, haben Frauen immer noch Angst davor, zu stark aufzufallen. Ich kenne eine Ingenieurin bei einem Start-up-Unternehmen in der Technologiebranche, die vor der Arbeit ihre Ohrringe ablegt, damit nichts ihre Kollegen daran erinnert, dass sie – psssst! – kein Mann ist.
Zu Beginn meiner Karriere wurde mein Geschlecht selten wahrgenommen (abgesehen von einzelnen Kunden, die mich mit ihrem Sohn verkuppeln wollten). Maskuline Anzüge waren nicht mehr in Mode, genauso wenig wie versteckte oder auch betonte Weiblichkeit. Nie hatte ich eine Frau als direkte Vorgesetzte – kein einziges Mal in meiner gesamten Karriere. Bei meinen Jobs gab es Frauen auf höheren Posten, aber ich war nicht dicht genug dran, um beobachten zu können, wie sie im Alltag mit dieser Frage umgingen. Ich wurde nie auch nur zu einer einzigen Besprechung eingeladen, in der es um das Thema »Geschlecht« ging, und ich kann mich an keinerlei spezielle Programme für Frauen erinnern. Das schien auch in Ordnung so. Wir hatten uns angepasst, es gab keinen Grund, Aufmerksamkeit auf uns zu ziehen.
Doch auch wenn das Thema Geschlecht nicht
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