Leander und der tiefe Frieden (German Edition)
fürchtete, dass mit den
Urlaubern auch Spione auf die Insel kämen. Außerdem haben die Militäranlagen
zwar keine kriegswichtige Rolle für Deutschland gespielt, aber sie wurden zum
Ziel für zahlreiche Bomberangriffe. Anders als im Ersten Weltkrieg, in dem auf
Sylt keine Gefechte stattgefunden haben, ist die Insel im Zweiten Weltkrieg in
der ganzen Zeit zwischen 1940 und 1945 immer wieder bombardiert worden.«
»Das hört sich für mich so an, als wäre ein Kommandeursposten
auf Sylt eine riesige Karrierechance gewesen«, überlegte Leander.
»Da kannst du einen drauf lassen«, bestätigte Brodersen, warf
aber zu Lena gewandt ein: »Oh, entschuldige.«
»Kein Problem, die Polizei ist ebenfalls eine Männerwelt, da
bin ich einiges gewohnt«, winkte Lena ab. »Worauf willst du hinaus, Henning?«
»Auf Petersen und Jessen. Soviel ich weiß, waren sie als
Offiziere auf Sylt stationiert. Das muss für damalige Inselverhältnisse eine
ziemliche Verantwortung gewesen sein. Erst recht für so junge Kerle.«
»Und ob. Insgesamt sollten zehntausend Soldaten auf Sylt
stationiert werden. Stell dir vor, was da ein Kommando bedeutet hätte. Ganz so
ist es zwar letztlich nicht gekommen, weil die Alliierten, wie ihr wisst, ja in
der Normandie gelandet sind, aber für die Fluchthelfer war es ein Glück, dass
die Wasserwege bei Sylt, also in Richtung dänische Nordsee, von Petersen und
Jessen kontrolliert wurden. So konnte Hinnerk immer dann mit Flüchtlingen
auslaufen, wenn Petersen oder Jessen Dienst hatten und Hansen und Jörgensen als
Wachhabende bei den Posten eingeteilt waren. Das geschah nachts, versteht sich,
denn Krabben werden nun mal nachts gefangen.«
»Krabben? Wieso Krabben?«, fragte Lena.
»Na, Hinnerk ist mit Juden ausgelaufen, hat die Schleppnetze
ins Wasser gelassen, die Flüchtlinge vor Römö an dänische Kutter übergeben und
ist mit Netzen voller Krabben wieder eingelaufen. Da hat keiner Verdacht
geschöpft. Klasse, oder?«
»Allerdings«, gestand auch Leander. »Auf so was muss man erst
mal kommen.«
»Und wo waren die Flüchtlinge, bevor Hinnerk sie übergeben
konnte?«, fragte Lena.
»Na, hier auf Föhr. Sie wurden nachts mit dem Kutter aus
Dagebüll abgeholt, ein paar Tage lang in einem der Bunker, von denen wir ja
hier auch einige hatten, versteckt und dann bei der ersten Gelegenheit von
Hinnerk an die Dänen übergeben. Die haben mit englischen Fluchthilfeorganisationen
zusammengearbeitet. Überhaupt hatte der dänische Widerstand, vor allem die
Kommunisten, beste Verbindungen nach England. Aber das nachzuvollziehen, würde
jetzt zu weit führen.«
»Das heißt, die Fluchthelfer – also Hinnerk, Jörgensen und so –
haben mit den Kommunisten zusammengearbeitet?«, fragte Lena erstaunt.
»Natürlich, wenn du Kontakte ins Ausland brauchtest, musstest
du mit den Kommunisten zusammenarbeiten. Außerdem sind durch die Föhrer
Fluchthelfer nicht nur Juden aus Deutschland geflohen. Eine Zeit lang waren es
vor allem Kommunisten, Sozialdemokraten und Gewerkschafter, die sonst ins KZ
gekommen wären.«
»Hat denn die örtliche Gestapo nichts davon mitbekommen?«,
fragte Leander.
»Das ist das eigentlich Perfide an der Geschichte«, erklärte
Brodersen und lehnte sich zurück. »Der alte Petersen war gut Freund mit
Roeloffs, dem Ortsgruppenleiter der NSDAP hier in Wyk. Deshalb hat Roeloffs
gern ein Auge zugedrückt. Was er wirklich gewusst hat, habe ich nie herausgefunden,
aber ich vermute, dass er von der Fluchthilfe nichts wusste. Und wenn doch,
wäre interessant zu erfahren, was sein Schweigen gekostet hat und wer das
bezahlt hat. Für Petersen war Roeloffs jedenfalls der Grund dafür, dass die
Gestapo in Schach gehalten wurde. Wenn eine Inspektion anstand, war er immer gewarnt.
Dann haben die Fluchthelfer sich ruhig verhalten. Von Petersens Seite also eine
verzeihliche Allianz mit der Macht. Deshalb trägt ihm das auch bis heute
niemand nach.«
Leander nickte grübelnd vor sich hin.
»Das klingt alles zu gut, um wahr zu sein«, wandte Lena ein,
»zu glatt. Waren diese Informationen das Einzige, von dem Petersen profitiert
hat? Und die Frage, was dafür die Gegenleistung gewesen ist, scheint mir
tatsächlich die zentrale Frage zu sein. Roeloffs muss davon profitiert haben,
alles andere ist für einen Ortsgruppenleiter unvorstellbar.«
»Nun, Petersen und Jessen machten Karriere. Ihre Väter hatten
ohnehin schon sehr viel Einfluss hier auf der Insel. Solche Freunde kann man
als Politiker
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