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Leander und der tiefe Frieden (German Edition)

Leander und der tiefe Frieden (German Edition)

Titel: Leander und der tiefe Frieden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Breuer
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Zutritt zum Badestrand und zu den
Kureinrichtungen verboten, 1938 wurde das durch einen Erlass des
Reichsinnenministeriums für alle Seebäder abgesichert.«
    »Und was passierte hier oben auf den Nordfriesischen Inseln?«,
erkundigte sich Leander, der gern den Bogen nach Föhr geschlagen hätte, um den
Teil der Geschichte zu erreichen, der seine Familie direkt etwas anging.
    »Nun, auf Amrum galt
Norddorf als besonders gefährlich für jüdische Gäste. Auf Sylt gab es
interessante Unterschiede: Westerland war extrem judenfeindlich, Wenningstedt
ebenfalls, Kampen hingegen hat sich vor allem jüdischen Künstlern gegenüber als
liberal gezeigt. Später war das alles schwieriger, weil Hitlers Reisedienst Kraft
durch Freude Sylt schwerpunktmäßig angelaufen hat und natürlich die Wehrmacht
schließlich die Insel ziemlich fest im Griff hatte. Auf Föhr hat es auch
Judensterne und die Reichspogromnacht gegeben, allerdings galt Wyk
vergleichsweise als judenfreundlich. Trotzdem gab es auch hier politische
Aktionen. 1934 ließ der Bürgermeister jüdische und nichtnationale Bücher
aussortieren und beschlagnahmen, um sie anschließend verbrennen zu lassen – im
März war das. Ein Jahr zuvor, im Jahr der Machtergreifung, hatte die NSDAP im
Stadtrat dreiundsechzig Prozent der Sitze. Entsprechend mussten alle Föhrer
Dorfbürgermeister, die nicht in der NSDAP waren, ihre Stühle räumen und wurden
durch Parteigenossen ersetzt. Es gab zwei jüdische Kinderheime auf der Insel,
das in der Gmelinstraße ist im Juni 1938 abgebrannt, allerdings soll es sich dabei
nicht um Brandstiftung gehandelt haben, sondern um ein defektes Bügeleisen. Ob
das stimmt, weiß ich natürlich nicht; einerseits war das lange vor der
Reichspogromnacht im November 1938, andererseits sind dann in der Reichspogromnacht,
die damals ja noch Reichskristallnacht hieß, Nazis zur Brandruine marschiert
und haben die letzten heilen Fensterscheiben eingeschmissen. Dagegen hat man
die einheimischen Juden im Vergleich zu anderen Badeorten meistens nicht
vertrieben oder mit dem Tode bedroht. Es gab hier eine jüdische
Kaufmannsfamilie Heymann – nach denen ist heute der Heymannsweg benannt –,
deren Mitglieder den Judenstern tragen mussten. Was das für einen ehemals hoch
angesehenen Kaufmann bedeutete, wenn er sein Haus verließ, könnt ihr euch ja
sicher vorstellen. Ein arischer Arzt, Dr. Friedrich Schulz, der eine jüdische
Ärztin geheiratet hatte, Dr. Margarete Schulz, fand eines Morgens sein Haus beschmiert
mit Beschimpfungen wie ›Judensau‹ und ›Judenschwein‹.«
    »Gibt es Hinweise darauf, dass diese jüdischen Einwohner auch
etwas von ihrem Besitz verloren haben?«, erkundigte sich Leander, der plötzlich
eine Verbindung zu seinem Großvater und dessen Freunden sah.
    »Oh ja, die gibt es.
Natürlich hat das Finanzamt nach der Reichspogromnacht genau wie im ganzen
Reich auch bei den Heymanns und den Schulzes die sogenannte ›Sühneleistung‹
eingezogen. Das war ja das besonders Perfide, dass die Juden auch noch den
Schaden, den der angeblich ›gesunde Volkszorn‹ angerichtet hatte, bezahlen
mussten – insgesamt eine Milliarde Reichsmark, die der Staat dringend brauchte,
weil er durch die Aufrüstung und die Arbeitsbeschaffungsprogramme ständig am
Rande des Staatsbankrotts stand. Aber zusätzlich mussten vor allem die Heymanns
im Zuge der ›Einziehung jüdischen Vermögens‹, wie das damals hieß, auch
Grundstücke verkaufen – in Wahrheit sind sie natürlich für einen Appel und ein
Ei an verdiente Parteigenossen gegangen.«
    »Kann man heute noch nachvollziehen, wer diese Parteigenossen
genau waren?«, hakte Leander nach.
    Brodersen dachte einen Moment nach und antwortete dann: »Ich
kann mir schon vorstellen, dass man das beim Grundbuchamt erfahren kann. Ich
werde dem gleich am Montag nachgehen, denn das zu wissen wäre ja wirklich
einmal interessant.«
    Leander erzählte Brodersen von der Übertragung von Haus und
Kutter an seinen Großvater.
    »Die Raabes, ja, die sind damals geflüchtet«, sagte Brodersen
und legte seine Stirn in tiefe Falten des Nachdenkens. »Solche Übertragungen an
Nichtjuden waren damals häufig. Jüdische Fabrikanten haben so versucht, ihren Besitz
über die Jahre des Naziterrors zu retten. Allerdings gab es da immer
entsprechende Klauseln oder geheime Zusatzvereinbarungen, die sicherstellen
sollten, dass sie ihr Eigentum später zurückbekamen, wenn keine Gefahr mehr
bestand. Die wenigsten dürften nach dem

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