Leander und der tiefe Frieden (German Edition)
gerne, um
die Daten der letzten Zählungen zu sortieren«, erklärte Eiken, und Leander
überlegte, ob ihre abweisend kühle Art daher kam, dass sie sich in dieser Ruhe
gestört fühlte, oder ob Lenas Anwesenheit der Grund war.
»Wir werden dich nicht lange stören«, versprach er. »Wenn wir
uns kurz aufgewärmt haben, machen wir uns wieder auf den Rückweg.«
»Quatsch«, lenkte Eiken nun ein. »Ihr stört mich nicht. Setzt
euch doch. Und zieht eure Mäntel aus, sonst friert ihr nachher umso mehr. Kann
ich euch einen Tee anbieten?«
»Da sag ich nicht nein«, antwortete Lena und lächelte Eiken
offen an, als sie nun ihren Mantel auszog und an einen Nagel in der Seitenwand
hängte.
Eiken holte Tassen aus einem Wandschrank und schenkte ihnen Tee
ein. Sowohl die Kanne als auch die Tassen hatten das klassische friesenblaue
Muster.
»Gemütlich hast du es hier«, sagte Lena und nahm auf ihrem
Hocker Platz. »So einen Arbeitsplatz hätte ich auch gerne, weitab von all dem
Trubel.«
Leander schaute sie verblüfft an, weil er wusste, dass Lena
gerade den Trubel um sich herum brauchte.
»Hier draußen würdest du doch eingehen wie eine Primel, die
nicht regelmäßig gegossen wird«, spottete er.
»Sag das nicht«, wandte Lena ein. »Ich möchte nicht warten, bis
es mir in unserem Beruf so geht wie dir. Vielleicht sollte man doch rechtzeitig
aussteigen, bevor einen die Großstadt kaputtmacht.«
»Wenn du das ernst meinst, kann ich vielleicht etwas für dich
tun«, versprach Eiken vorsichtig. »Du müsstest dich natürlich von Grund auf
einarbeiten. Und vom Gehalt her ist das nicht die Welt, was wir hier verdienen.
Da bist du sicher mehr gewohnt.«
Leander sagte nichts mehr, allerdings musste seine Miene
ausdrucksstark genug sein, denn plötzlich lachten beide Frauen gleichzeitig,
als sie ihn ansahen. Er trank einen Schluck Tee und bemühte sich um einen
gleichmütigen Gesichtsausdruck.
»Sag mal, Eiken«, wechselte er das Thema, weil er ja nicht nur
hier war, um sich von den beiden hochnehmen zu lassen, »kannst du noch einmal
versuchen, bei deinem Großvater und vielleicht bei seinen Freunden etwas über
die Hintergründe der Fluchthilfe herauszubekommen? Das haben die sicher nicht
umsonst gemacht. Immerhin war es lebensgefährlich für sie. Mit dir reden sie
eher als mit einem Zugezogenen wie mir. Uns erscheint die ganze Geschichte
ziemlich unstimmig.«
Er erzählte von den Zusammenhängen, die sie am Tag zuvor bei
Tom Brodersen diskutiert hatten, und auch von dem Engländer, der angeblich bei
einer Wattwanderung ums Leben gekommen war.
»Ich kann es versuchen«, versprach Eiken. »Allerdings mauern
die Alten momentan unglaublich. Heute Abend bringe ich meinen Großvater zu Ocko
Hansen. Mal sehen, ob ich bei der Gelegenheit etwas erfahren kann. Wenn ich
euch richtig verstehe, dann seht ihr einen Zusammenhang zwischen der
Fluchthilfe, diesem Stewart Williamson und den Immobiliengeschäften, an denen
unsere Großväter beteiligt sind.«
»Er kommt zumindest ursprünglich aus Deutschland und ist mit
seinen Eltern über Föhr geflohen. Es könnte also sein, dass er auf der Insel
war, weil er von unseren Großvätern etwas wollte.«
Er erzählte nun auch von den Immobilienverkäufen und
Übertragungen und stellte offen die Vermutung an, dass sich die alten Männer an
der Not der Flüchtlinge bereichert haben könnten. Eiken überlegte einen Moment.
»Da muss ich taktisch vorgehen, sonst machen die dicht«,
erklärte sie schließlich. »Ich lasse mir etwas einfallen. Aber wenn ihr nichts
dagegen habt, würde ich jetzt gerne hier weitermachen, sonst muss ich morgen
noch einmal rauskommen.«
»Alles klar«, sagte Lena und erhob sich. »Meldest du dich bei
uns, wenn du bei Ocko Hansen warst?«
»Vielleicht komme ich heute Abend noch vorbei, sonst morgen
Vormittag«, versprach Eiken.
Leander und Lena zogen ihre Mäntel wieder an und schlugen die
Kragen hoch. Sie winkten Eiken kurz zu und verließen dann den Wagen. Als sie
wieder draußen in der Kälte standen, kam ihnen der Deich sehr unwirtlich vor.
Der sanfte Schneefall hatte sich in ein Schneetreiben verwandelt, der Wind
hatte aufgefrischt und kam noch dazu von vorne, als sie nun wieder in Richtung
Wyk wanderten.
»Bei der nächsten Gelegenheit wechseln wir runter hinter den
Deich«, rief Leander gegen den Wind an.
Lena hielt sich dicht neben ihm und blickte nach unten, damit
ihr der Schnee nicht ins Gesicht trieb. Auf der Höhe der Boldixumer
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