Leander und der tiefe Frieden (German Edition)
stattdessen Leanders Tasse, goss Kaffee nach, setzte
sich in einen Sessel neben ihn, die Tasse wärmend in beiden Händen, und nahm
kleine Schlucke.
»So lasse ich mir das gefallen«, erklärte sie. »Was meinst du,
reicht unser Geld aus, wenn wir beide in Frühpension gehen und zusammen hier
leben?«
»Als wenn du ohne deine Arbeit auskommen könntest!«, erwiderte
Leander lachend. »Spätestens nach vier Wochen hättest du den Inselkoller und würdest
mir das Leben zur Hölle machen.«
»Da ist was dran«, stimmte Lena nach kurzer Überlegung zu.
»Andererseits weiß ich nicht, ob mir gelegentliche Wochenenden hier bei dir
ausreichen. Ich brauche deine Nähe mehr, als du vielleicht glaubst.«
»Dann machen wir gemeinsam eine Detektei hier auf der Insel
auf«, schlug Leander halb ernsthaft vor. »Du machst die Arbeit, und ich
verwalte unsere Einnahmen.«
»Genau«, stimmte Lena in diese Überlegung ein. »Ich stelle mir
das sehr abwechslungsreich vor: Tagsüber überwache ich Friederike Irgendwer aus
Süderende im Auftrag ihres eifersüchtigen Ehemanns bei ihren Seitensprüngen im
Strandkorb, abends sitzen wir wie ein altes Ehepaar im Garten und halten
Händchen. Im Winter wärmst du mich vor dem Kamin wieder auf, wenn ich völlig
erfroren von meinen Observationen komme, auch wenn ich mir im Moment nicht
vorstellen kann, wo hier im Winter der Ehebruch stattfinden könnte.«
»Wer weiß«, sinnierte Leander. »Es gibt doch sicher Scheunen
mit viel Heu. Vielleicht bekommen wir auch mal eine Geldübergabe im
Entführungsfall eines Rassehundes in Oldsum, oder ein international gesuchter
Hoteldieb macht in Utersum Station. Langweilig wird das hier bestimmt nicht.«
»Ich sehe schon«, wandte Lena ein, »du willst deine Ruhe haben.
Ich für meinen Teil werde jetzt erst einmal heiß duschen gehen. Falls du Lust
hast mitzukommen, mache ich unseren ersten Fall daraus: sexuelle Nötigung einer
Abhängigen.«
»Warum bekomme ich immer den Schwarzen Peter? Man könnte doch
auch Verführung eines emotional Minderjährigen daraus machen«, beschwerte sich
Leander und folgte Lena nach oben.
Nach dem Frühstück machten sich die beiden auf den Weg durch
den frischen Schnee zur Galerie von Wilhelm Jörgensen. Dort erfuhren sie von
dem abweisenden alten Mann, dass Eiken den heutigen Tag im Beobachtungswagen am
Deich verbrachte, da sie den Jahresabschluss ihrer Vogelzählung machen wollte.
Darüber hinaus war Wilhelm Jörgensen unfreundlich und wortkarg, so dass sich
Leander und Lena nicht weiter in der Galerie aufhielten. Zwar hingen schwere
Wolken über der Insel, aber abgesehen von der Schneekälte war es wenigstens
windstill und erträglich; also beschlossen sie, eine Wanderung zum Beobachtungswagen
zu unternehmen. Die Gefahr zu erfrieren bestand heute ja nicht.
Als sie auf dem Deich waren, begann es erneut zu schneien. Das
Watt sah bei Ebbe wie gezuckert aus, der Schnee verschluckte alle Geräusche und
versenkte die Landschaft in eine märchenhafte Welt der Stille und des Friedens.
Die Küstenlinie des Festlandes war nur schemenhaft zu erkennen und verschwand
bald ganz hinter dem Schleier aus Schneeflocken, die dick und schwer langsam
zur Erde taumelten.
»Verlaufen können wir uns zum Glück nicht«, sagte Leander. »Die
Deichkrone führt uns direkt zu Eikens Wagen.«
Sie gingen Hand in Hand auf dem Deich nebeneinander her und
genossen die Stille, zumal sie beide ihren jeweils eigenen Gedanken nachhingen
und nur wenig miteinander sprachen. Nach fast zwei Stunden tauchte plötzlich
wie aus dem Nichts hervorgezaubert der Bauwagen direkt vor ihnen auf. Die
Rauchfahne aus dem Schornsteinrohr versprach ihnen, dass Eiken anwesend war.
Leander klopfte und drückte die Klinke hinunter. Sekunden später standen sie im
warmen Wagen der Vogelwartin gegenüber, die sie erstaunt anschaute.
»Was treibt euch denn bei dem Wetter hier heraus?«, begrüßte
sie ihre Besucher. »Verbindet euch etwa auch so eine Art Todessehnsucht?«
»Wir hatten Lust auf einen ausgedehnten Spaziergang, und bei
der Gelegenheit wollte ich Lena mal deinen Arbeitsplatz zeigen«, antwortete
Leander.
Lena stellte sich vor den Ofen und wärmte sich ihre halb
erfrorenen Finger. Eiken schob zwei Hocker zurecht und setzte sich selbst
wieder auf ihren Stuhl vor dem Fenster. Auf dem Schreibtisch lagen Stapel von
Listen, die den Eindruck machten, als wären sie völlig durcheinander und
unsystematisch.
»Ich nutze die Ruhe der letzten Tage im Jahr immer
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