Leander und der tiefe Frieden (German Edition)
griff nach den Karten, warf sie dem Maler hin und erklärte
beiläufig: »Du bist dran; neues Spiel, neues Glück.«
Leander war fassungslos über Mephistos Abgebrühtheit und
Skrupellosigkeit, gleichzeitig aber faszinierte ihn die Selbstverständlichkeit,
mit der dieser kleine Mann mit den flinken Augen sein eigenes Ding durchzog und
von keinerlei sozialem Gewissen dabei belästigt wurde.
Leander zahlte sein Lehrgeld
und hoffte inständig, dass er bald einen sicheren Grand Hand bekam, um
wenigstens einen Teil seiner Verluste mit dem Pott wieder auszugleichen. Da
fühlte er eine sanfte Hand auf seiner Schulter und hörte etwas neben sich
Eikens helle Stimme »Guten Abend, alle miteinander!« sagen.
»Schau, schau«, entgegnete Mephisto, »des Malers Modell und
Muse, wenn er alte Wracks malt.«
»Lass gut sein, alter Tatterlüstling«, stimmte Tom Brodersen
ein. »Nicht jeder kann mit seinem Pinsel so gut umgehen wie unser Maler
Klecks.«
»Schon gar nicht, wenn ihm wie einem Pfaffen eindeutig die
Übung fehlt«, machte Hindelang das Maß voll.
Eiken wurde etwas rot und schielte verlegen zu Leander
hinunter, der dies nur aus den Augenwinkeln wahrnahm und sich hütete, sie
direkt anzuschauen.
»Nun macht mal halblang«, rügte er seine neuen Skatbrüder. »Da
ist eine Dame an Deck!«
»Wo?«, fragte Götz Hindelang und ließ seine Augen durch den
Raum schweifen.
»Schau, schau«, wiederholte Mephisto und blickte Leander aus
kleinen wissenden Augen grinsend an.
»Und?«, wechselte Eiken das Thema. »Wie läuft’s?«
»Das Spiel gut, das Bier
etwas langsam«, antwortete Mephisto und winkte der Bedienung mit seinem leeren
Glas. »Man könnte den Eindruck bekommen, der Wirt wollte nichts verdienen.«
Tom Brodersen nahm die Karten, mischte und forderte Eiken auf,
sich einen Stuhl heranzuziehen.
»Letzter Ramsch«, verkündete Mephisto. »Henning hat den ersten
gegeben und gibt gleich das erste ordentliche Spiel. Dann wird es wieder
billiger.«
Er zwinkerte Leander zu. Die Bedienung kam mit einer neuen
Runde Bier und Köm und stellte auch vor Eiken zwei Gläser ab.
Das letzte Ramschspiel ging für Leander glimpflich aus, und er
war froh, dass von nun an ordentlich gereizt wurde. Als er das erste normale
Spiel gegeben hatte, beugte er sich zu Eiken hinüber und fragte sie leise, ob
sie etwas von ihrem Großvater erfahren habe.
»Nicht viel«, entgegnete sie. »Jedenfalls nichts, das uns
wirklich weiterbrächte. Ich erzähle dir morgen davon. Hast du Lust, mit mir zu
frühstücken?«
Leander nickte und schaute sich vorsichtig um, ob jemand von
diesem Angebot etwas mitbekommen hatte, aber die anderen waren mit ihren Karten
beschäftigt oder taten zumindest so.
»Gut, dann komme ich um neun Uhr mit Brötchen zu dir«, erklärte
sie.
Leander war es ganz recht, dass er seinerseits jetzt auch
nichts von seinen Nachforschungen berichten musste.
»Ich geh dann mal wieder«, verkündete Eiken und trank ihr Bier
aus. »Ich wollte nur mal kurz nachsehen, wie sich unser Neubürger macht.«
Sie winkte allen kurz zu und verschwand genauso schnell, wie
sie gekommen war.
»Die schöne Eiken«, sagte Tom Brodersen, »eine streunende
Katze.«
»Wie meinst du das?«, erkundigte sich Leander.
»Das wirst du schon noch selbst herausfinden«, antwortete
Brodersen zwinkernd. »Ich rate allerdings zur Vorsicht. Bist du eigentlich
verheiratet?«
»Wie man’s nimmt«, sagte Leander kurzab.
»Verstehe, deine Ehe ist eine Baustelle.«
»Eher eine Ruine. Aber wenn es dich beruhigt, ich bin
anderweitig in festen Händen.«
Brodersen nickte, teilte die Karten aus und lehnte sich,
genüsslich sein Bier trinkend, zurück.
Leander spielte nach dem Ramsch einen ersten regulären Kreuz,
gewann ihn einfach und bekam drei Cent dafür.
»Na bitte, jetzt wendet sich das Blatt«, verkündete er erfreut.
»Ach was«, warf Mephisto ein. »Die ersten Pflaumen sind madig.
Und jetzt setzt du ohnehin erst mal aus.«
Leander lenkte das Gespräch im weiteren Verlauf des Abends auf
seinen Großvater.
»Der alte Hinnerk«, meinte Tom Brodersen. »Das war ein ehrlicher
Knochen. Etwas verschroben vielleicht, aber insgesamt eine ehrliche Haut. Ich
habe oft mit ihm bei einem Glas Wein gesessen und über die Föhringer Geschichte
geplaudert. Er war unersättlich in seinem Wissensdrang, aber auch ich konnte
viel von ihm erfahren.«
»Hatte er einen historischen Schwerpunkt, oder interessierte
ihn die ganze Geschichte gleichermaßen?«, erkundigte
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