Leander und der tiefe Frieden (German Edition)
besser.«
Leander dachte an die Zustände in Hamburg und Kiel, und die
Liste deutscher Großstädte, in denen es nicht anders zuging, hätte sich sicher
noch beliebig verlängern lassen. Er dachte an die Verbindungen zwischen dem
Organisierten Verbrechen und der Politik, an die fließenden Übergänge zur
Wirtschaft, daran, dass anscheinend immer die Falschen geschützt wurden.
Vor Jahren war in Hamburg ein Richter, der als gnadenlos
bekannt war und eine Partei gegründet hatte, die den Rechtsstaat im Namen
führte, zum Senator gewählt worden. Die Menschen, die ihn und seine Partei
gewählt hatten, hatten die Nase voll von dem Filz und der Korruption und
hofften nun auf einen Mann, der endlich wieder Recht und Ordnung herstellte.
Kurz darauf war bekannt geworden, dass er selbst engste Kontakte zum
Rotlichtmilieu pflegte und den Unterweltbossen gerne zu Diensten war.
Leander war sich über eines im Klaren: Es wäre in der Tat ein
Gewinn für das Gemeinwesen, wenn solchen Verbrechern das Handwerk gelegt würde.
Aber ob ein Mord das richtige Mittel war?
»Ein Mörder ist und bleibt ein Mörder«, sagte er. »Egal, welche
Ziele er verfolgt. Das Ziel heiligt eben nicht die Mittel. Diese Distanz zur
RAF muss sein!«
»Also waren auch die Attentate auf Hitler nichts als verwerfliche
Mordversuche?«, wandte Eiken ein. »War es recht – und ich meine nicht nur
damals geltendes Recht –, dass die Verschwörer des Zwanzigsten Juli
hingerichtet wurden, obwohl sie doch nur ein Land von seinem Diktator befreien
wollten, der selbst der schlimmste Mörder aller Zeiten war?«
»Nein«, lenkte Leander ein. »In dem Fall stimme ich dir zu.
Aber Recht und Ordnung waren eben außer Kraft gesetzt, und deshalb konnte auch
kein Rechtssystem mehr wirksam werden. Der Tod Hitlers hätte eine Chance dazu
geboten, das Recht wieder in Kraft zu setzen, aber das sind Ausnahmezustände,
die für uns heute nicht gelten.«
»Ich denke, auch heute ist das Rechtssystem vielfach außer
Kraft, und zwar immer dann, wenn kleine Steuersünder ins Gefängnis gehen oder
Sekretärinnen, die sich am Buffet ihres Chefs bedienen, ihren Job verlieren und
große Steuersünder mit Bewährung davonkommen und dann in der Finanz-und
Wirtschaftswelt sogar noch als Helden gefeiert werden. Es soll da ja selbst in
Kanzler-und Ministerkreisen einschlägige Beispiele geben.«
»Trotzdem haben wir eine gültige und mehrheitsfähige
Rechtsordnung«, beharrte Leander. »Und noch etwas: Wo würdest du die Grenze
ziehen? Wann ist ein Mord für dich gerechtfertigt und wann eben noch nicht? Und
wenn er für dich gerechtfertigt ist, muss er es dann auch für andere sein? Wo
fängt das Verständnis für die Anwendung dieses Mittels an? Wenn jemand zehn
Menschen auf dem Gewissen hat, oder erst bei hundert oder fünfeinhalb
Millionen?«
Eiken schwieg und dachte offenbar über das nach, was Leander
gesagt hatte.
»Entschuldige«, wandte der ein. »Ich bin schon zu lange
Polizist, um dem Mord das Wort reden zu können, auch wenn ich deiner Position
nicht grundsätzlich widersprechen kann. Aber ›Du sollst nicht töten!‹ hat auch
für mich als Atheisten eine Bedeutung. Das hat nämlich eigentlich gar nichts
mit Religion zu tun. Regeln und ihre konsequente Umsetzung sind nötig, wenn
eine Gesellschaft funktionieren soll. Da gibt es kein Teils-Teils, kein
Manchmal oder Vielleicht. Das hört sonst nie auf. Das Faustrecht darf unsere
Rechtsordnung nicht verdrängen.«
»Auch nicht ergänzen, wo sie von sich aus nicht funktioniert?
Aber lassen wir das. Beide Positionen haben etwas für sich. Wenn nicht alles
antinomisch wäre, wüsste man besser, was richtig und was falsch ist. Lass uns
über unsere Großväter sprechen, die ja offenbar gewusst haben, welche Seite die
richtige ist.«
»Daran habe ich leider inzwischen so meine Zweifel«, wandte
Leander ein und erzählte Eiken, was er im Archiv herausgefunden hatte.
»Und du denkst, das könnte der Grund für den Streit zwischen
unseren Großvätern gewesen sein? Warum erst jetzt, wenn sich alles so
zugetragen hat, wie du befürchtest?«
»Was weiß ich? Spätes schlechtes Gewissen vielleicht. Am Ende
seines Lebens fürchtet man wohl die Abrechnung«, überlegte Leander.
»Möglich.« Eiken schien nicht überzeugt, hatte aber offenbar
auch keine andere Erklärung.
»Gestern Abend habe ich meinen Großvater noch einmal gefragt,
was zwischen ihm und Hinnerk vorgefallen sei, aber er rückt nicht mit der
Sprache heraus. Es muss
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