Leander und der tiefe Frieden (German Edition)
am Tag
zuvor. Außerdem irritierte ihn die schnelle Vertrautheit zwischen ihnen, die
gleich nach ihrer ersten Begegnung einfach dagewesen war. An Lena durfte er in
diesem Zusammenhang gar nicht denken!
»Für welche Art von Bildern stehst du Götz Hindelang eigentlich
Modell?«, fragte er beim Frühstück. »Oder ist die Frage zu indiskret? Dann ziehe
ich sie zurück.«
Eiken lachte hell auf.
»Wenn etwas diskret behandelt werden soll, darf man es nicht
bei einem Künstler machen, der seine Bilder öffentlich ausstellt«, antwortete
sie. »Götz zeichnet neben seinen Seekartenbildern für Touristen auch Akte,
allerdings nicht in klassischer Hinsicht, sondern es sind fantastische, teils
historische, teils märchenhafte Motive. Ich selbst bin da nicht als Ganzes und
schon gar nicht eindeutig zu erkennen.«
Als Leander nicht gleich reagierte, fuhr sie fort: »Komm doch
mal in der Galerie vorbei und schau dir seine Bilder an. Die Akte sind im
Obergeschoss ausgehängt. Du wirst feststellen, dass nichts Anrüchiges daran
ist. Übrigens hatte ich nie etwas mit Götz – und das liegt nicht an ihm. Reicht
dir das als Antwort?«
»Entschuldige«, sagte er,
»es geht mich ja wirklich nichts an.«
Ich führe mich auf wie ein Schuljunge, dachte er. Gut, dass
Lena noch nicht hier ist.
»Haben die Herren gestern Abend sehr über mich hergezogen?«,
erkundigte sich Eiken und griff nach ihrem Kaffee.
»Nein«, entgegnete Leander zu schnell, und auf Eikens
skeptischen Blick hin fügte er hinzu: »Wirklich nicht, nur das übliche Gefoppe,
das die drei offenbar zur Perfektion geführt haben.«
»Ja«, stimmte Eiken lachend zu. »Ich habe einmal an einem Nebentisch
gesessen und einen solchen Skatabend mitbekommen. Man hat den Eindruck, dass
keiner von ihnen die Chance auf einen blöden Spruch auslässt. Das war höchst
unterhaltsam.«
»Vor allem Mephisto ist eine faszinierende Type«, gestand
Leander.
»Der Mann ist ein absolutes Original, den gibt es zum Glück
nicht zweimal. Er kann einem ganz schön auf die Nerven gehen. Ich denke
manchmal, dass ich mir kaum jeden Sonntag eine Predigt von ihm antun könnte.
Der Bursche hat bestimmt noch nie ein Blatt vor den Mund genommen. Bist du
eigentlich evangelisch oder katholisch?«
»Konfessionslos«, erklärte Leander. »Ich habe schon früh
begriffen, dass Religion in erster Linie dazu dient, die Macht der Kirchen und
ihrer Funktionäre zu sichern. Eine Ideologie wie so viele, nicht mehr, aber
eben auch nicht weniger. Also bin ich aus der Kirche ausgetreten, als ich
achtzehn war.«
»Erstaunlich«, entgegnete Eiken. »Ich habe für derartige
Erkenntnisse länger gebraucht. Dann müssten dir die Romane von Doris Gercke ja
sehr entgegenkommen.«
Leander wiegte zweideutig den Kopf.
»Was ich gut nachempfinden kann, ist der Realismus der
Hauptfigur. Bella Block hat allen Idealismus verloren, weil die Welt nicht so
ist, wie wir sie uns wünschen, und weil das so gut wie gar nicht zu ändern ist.
Das klingt im Roman zwar etwas abgegriffen, aber genauso ist es nun mal. Am
Anfang, wenn man den Beruf des Polizisten ergreift, sieht man das anders,
romantischer. Man tritt an, um seinen Beitrag zu leisten, damit das Gute siegt.
Aber es siegt nicht, fast nie, das habe ich selbst sehr schmerzhaft erfahren.«
»Das ist aber erschreckend fatalistisch«, wandte Eiken ein und
blickte ihn skeptisch an.
»Mag sein, aber genauso empfinde ich es inzwischen. Du kämpfst
gegen Windmühlenflügel, weil das Verbrechen den Schutz der Macht genießt.
Manchmal ist das sogar alles eins. Was mich an Bella Block stört, ist weniger
der resignative Ansatz als die Konsequenz, dass die Ordnung und das moralische
Recht nur durch einen Verstoß gegen das Rechtssystem und die Grundfesten der
gesetzlichen Regeln wiederhergestellt werden können. Das erinnert mich zu sehr
an die Rechtfertigungsrhetorik der RAF, so nach dem Motto: Ein Unrechtsstaat
darf mit Unrecht bekämpft werden. Dem kann und will ich so nicht folgen. Ein
Mord kann weder Recht noch Ordnung sein, egal aus welchem Grund er begangen
wird, und er kann auch keine Ordnung wiederherstellen.«
»Das sehe ich anders. Wenn Gewaltverbrecher durch unser
Rechtssystem oder dessen Vertreter geschützt werden, wenn sie ungehindert
weiter dealen, morden, Menschenhandel treiben, oder was auch immer, dann ist
deren Tod doch eine Erlösung für die Gesellschaft, für das ganze Gemeinwesen,
das man anders offenbar nicht schützen kann – und je eher, desto
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