Leander und der tiefe Frieden (German Edition)
aber etwas gewesen sein. Bis vor ein paar Monaten waren
sie wie Zwillinge, und dann – das muss etwa zu der Zeit gewesen sein, als du
deinen Großvater besucht hast – war von einem Tag auf den anderen Schluss
damit. Zuerst ging es zwischen Hinnerk und Ocko los. Mein Großvater stand da
noch irgendwie dazwischen, aber später hat er sich dann auf Ockos Seite
geschlagen.«
»Wie haben sich Petersen und Jessen verhalten?«
»Keine Ahnung. Zwischen
unseren Großvätern und denen bestand kaum noch Kontakt. Wenn da etwas gelaufen
ist, dann so, dass ich nichts davon mitgekriegt habe. Auch die Gespräche
zwischen den anderen dreien habe ich nur durch Zufall und dann auch nur am
Rande mitbekommen. Wenn sie bei uns waren, hat mein Großvater mich immer zu irgendwelchen
Besorgungen weggeschickt. Später haben sie sich dann nur noch bei Ocko
getroffen, manchmal bis spät in die Nacht, manchmal auch nur kurz. Mein
Großvater kam dann immer ganz aufgebracht zurück. Aber erklärt hat er mir nie
etwas.«
Eiken hob die Kaffeetasse und merkte, dass sie leer war. Leander
schenkte ihr nach und wartete, aber Eiken trank nur gedankenverloren und
schwieg.
»Wenn mein Besuch der Auslöser gewesen ist, dann könnte es doch
sein, dass das alles etwas mit meinen Fragen zu tun hat. Ich wollte Gewissheit,
aber mein Großvater hat darauf bestanden, dass er Zeit brauche. Zeit wozu,
frage ich dich. Er hatte sein ganzes Leben lang Zeit, um sich Gedanken über
seine Geschichte zu machen. War das alles nur ein Lügengebäude? Habe ich es ins
Wanken gebracht? Vielleicht ist er auf seine alten Tage weich geworden und
wollte den gerade gewonnenen Enkel nicht sofort wieder verlieren.«
Eiken schüttelte den Kopf.
»Das kann ich mir nicht vorstellen!«, erklärte sie kategorisch.
»Unsere Großväter sind keine Teufel, die jahrzehntelang mit einer fürchterlichen
Schuld leben können.«
In diesem Moment klopfte es an der Haustür.
»Bitte nicht Frau Husen«, stöhnte Leander und erhob sich.
»Lass nur, ich gehe schon«, bot Eiken an. »Koch du lieber noch
etwas Kaffee.«
Während Leander den Kaffeefilter wechselte, hörte er an der
Haustür Stimmen, konnte aber nicht verstehen, was gesprochen wurde. Kurz darauf
betrat Eiken die Küche und verkündete kleinlaut: »Du hast Besuch.«
Als Leander sich umdrehte, stand Lena mit versteinertem Gesicht
in der Küchentür.
»Verdammt!«, fluchte Leander. »Dich habe ich ja ganz
vergessen.«
»Das habe ich gemerkt«, antwortete Lena und machte dabei den
Eindruck, als betrachte sie das nicht als verzeihliches Versehen. »Eine halbe
Stunde lang habe ich in der Kälte an der Fähre gestanden. Und dann musste ich
mich mühsam durchfragen; scheinen ja nur Touristen unterwegs zu sein bei der
Kälte.«
Sie trat an den Herd und wärmte sich die Hände. Dabei vermied
sie jeden Blick in Leanders und Eikens Richtung.
»Ich geh dann mal«, erklärte Eiken. »Wir können ja ein anderes
Mal weiterreden.«
»Lasst euch durch mich nicht stören«, entgegnete Lena
verschnupft.
»Setz dich bitte«, sagte Leander zu Eiken und schob sie sanft
zu ihrem Stuhl. »Der Kaffee ist sofort fertig, und wir sind keine kleinen
Kinder. Lena, kann ich dich bitte kurz nebenan sprechen?«
Er verließ die Küche und trat ins Wohnzimmer.
Lena folgte ihm widerwillig
und schloss die Tür hinter sich.
»Es tut mir leid«, begann Leander. »Wir haben über meinen Großvater
geredet, und dabei habe ich die Zeit aus den Augen verloren.«
»Lass gut sein«, wehrte Lena ab. »Das gemeinsame Frühstück
spricht doch Bände. Du solltest wenigstens den Mut haben, die Wahrheit zu
sagen.«
»Eiken ist die Enkelin von Wilhelm Jörgensen, dem besten Freund
meines Großvaters. Sie ist heute Morgen zum Frühstück gekommen, weil ich mehr
über das Verhältnis der alten Männer erfahren wollte. Mehr ist da nicht, und
wenn da mehr wäre, würde ich es dir sagen – Ehrenwort.«
Er ließ Lena einen Moment Zeit, über seine Erklärung
nachzudenken, dann nahm er sie in die Arme und fühlte an der Art, wie sich ihr
Körper nach und nach lockerte, dass sie froh darüber war.
»Mir ist kalt«, sagte sie schließlich. »Wo kann ich meine
Tasche und meinen Mantel ablegen? Ich brauche unbedingt einen heißen Kaffee.«
Um diesmal sofort eindeutige Zeichen zu setzen, trug Leander
die Reisetasche und seinen Laptop, den Lena in einer Extratasche mitgebracht
hatte, hinauf ins Schlafzimmer und zeigte Lena das Bad. Danach gingen sie gemeinsam
hinunter in die
Weitere Kostenlose Bücher