Leander und der tiefe Frieden (German Edition)
der Wärme des Zimmers, und sie kuschelte sich an ihn.
»Nur damit das klar ist«, erklärte sie, »du wirst mich nicht
los, auch nicht, wenn du dich hier auf deiner Insel verkriechst.«
»Das will ich auch gar nicht«, beruhigte Leander sie. »Wenn ich
auch sonst noch sehr unentschlossen bin, aber das weiß ich ganz genau.«
»Hast du eigentlich etwas zu essen im Haus?«, fragte Lena. »So
langsam habe ich Hunger.«
»Ich weiß nicht, was noch im Vorratsraum ist. Daran, für die
Feiertage etwas einzukaufen, habe ich ehrlich gesagt gar nicht gedacht.«
»Und du willst hier alleine überleben?«, fragte Lena
scherzhaft. »Ich sehe mal nach, was ich uns zaubern kann. Du kannst ja
inzwischen deine Truhe weiter sichten. Später helfe ich dir dann dabei.«
Lena verschwand in der Küche, und während Leander die Kiste
öffnete und die Aktenordner auf den Wohnzimmertisch legte, die er bereits
gesichtet hatte, hörte er sie mit Töpfen oder Pfannen klappern, als habe sie
vor, eine ganze Schiffsmannschaft mit einem Vier-Gänge-Menü zu versorgen.
Ein weiterer Aktenordner mit Zeitungsausschnitten kam zutage,
der sich schwerpunktmäßig mit Ereignissen aus der Inselgeschichte befasste.
Zunächst stöhnte Leander widerwillig auf, denn die Sammelwut seines Großvaters
schien ihn auf arbeitsintensive Nebengleise zu führen, von denen er nicht
wusste, ob sie zu etwas gut waren oder nur Stunden verschwenden würden. Doch
dann begann er zu lesen, und je mehr er las, desto faszinierter war er von dem,
was sich ihm offenbarte. Er war so vertieft in die Geschichte Föhrs, dass er
gar nicht merkte, wie Lena mit zwei Tellern den Raum betrat.
»Ich dachte, wir essen hier vor dem Kamin«, sagte sie so
unvermittelt, dass Leander aufschrak. »Wenn wir schon nur Reste vertilgen
können, sollten wir das wenigstens mit Stil machen.«
Sie stellte die Teller ab, und Leander identifizierte Omelettes
mit Champignons, Bratkartoffeln und einen Tomatensalat, liebevoll verziert mit
ein paar Stängeln Petersilie.
»Meine Güte«, sagte er, »wo hast du denn diese Schätze
aufgetrieben?«
»Im Vorratsraum«, erklärte Lena mit dem Understatement einer
Sterneköchin, die sich ihrer Genialität bewusst war, aber nicht nötig hatte,
diese selbst zu betonen.
»Hast du etwas Interessantes gefunden?«, erkundigte sie sich,
während sie aßen.
Leander berichtete zwischen Gabeln voller Bratkartoffeln und
Omelette zunächst von den Ordnern, die er schon vor Tagen gesichtet hatte, und
erzählte Lena auch von den denkwürdigen Terminzusammenfällen, die einerseits
die Übertragung von Haus und Kutter und die Heirat seiner Großeltern betrafen und
andererseits die Geburt seines Vaters Bjarne und den Tod seiner Großmutter
Wencke.
»Das waren schwere Zeiten damals«, überlegte Lena. »Was macht
ein junger Fischer, der die meiste Zeit des Tages auf See verbringen muss, mit
einem kleinen Kind – einem Säugling?«
»Schwer zu sagen, aber ich nehme an, dass es auch hier auf der
Insel so etwas wie eine Amme gegeben hat, eine Frau halt, die neben ihrem
eigenen Kind gegen Bezahlung ein fremdes Kind gestillt hat.«
Lena dachte einen Moment darüber nach.
»Wahrscheinlich kann uns einer der Freunde deines Großvaters
etwas Näheres dazu sagen. Wir sollten Eikens Großvater fragen, schließlich
waren sie damals enge Weggefährten.«
»Gute Idee. Er kann uns
vielleicht auch verraten, wie sich mein Großvater ein Haus und einen Kutter
leisten konnte. Schließlich war er Fischer und nicht der Sohn reicher Eltern«,
stimmte Leander zu. »Außerdem möchte ich wissen, was zwischen meinem Großvater
und meinem Vater vorgefallen ist. Die Trennung scheint nur einseitig so
endgültig gewesen zu sein, denn mein Großvater hat alle Zeitungsartikel
gesammelt, die mit meinem Vater oder mir zu tun haben. Dafür muss er sogar
einen Ausschnittdienst engagiert haben, denn es sind vor allem überregionale
Zeitungen und Tageszeitungen aus Hamburg und Kiel, aus denen die Artikel
stammen. So etwas macht niemand, der mit seinem Sohn nichts mehr zu tun haben
will. Der verhält sich eher so, wie mein Vater es getan hat. Er hat mir nie von
meinem Großvater erzählt.«
»Bestimmt weiß auch Frau Husen etwas darüber. Ich werde sie bei
nächster Gelegenheit fragen, sofern du das nicht selber machen willst«, schlug
Eiken vor.
Leander wehrte den Vorschlag, selbst mit Frau Husen zu
sprechen, zwar wortlos, aber mit beiden Händen so energisch ab, als gelte es,
sich vor einem Teufel
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