Leander und der tiefe Frieden (German Edition)
Worten,
und Leander war klar, dass er gerade nicht nur seine Existenz in Frage gestellt
hatte.
»Ja, Henning«, sagte sie dann, »nachvollziehen kann ich das.
Dein Frust ist verständlich, aber ich kann es nicht zulassen, dass du uns für
überflüssig erklärst. Das sind wir nämlich nicht. Vielleicht schwimmen die
Fettaugen aus Politik und Wirtschaft am Ende immer oben; vielleicht überführen
wir die wirklichen Drahtzieher nicht, weil sie politischen Schutz genießen, den
sie sich vielleicht wirklich erkaufen. Aber zumindest stören wir ihre Kreise
und verhindern damit möglicherweise so manchen Deal. Ohne uns wäre die
Situation noch viel unerträglicher. Auch wenn wir immer nur die zweite Garnitur
zur Rechenschaft ziehen, heißt das nicht, dass wir nichts erreichen.«
Leander blieb stehen und blickte eine Weile aufs spiegelglatte
Meer hinaus.
»Nein, Lena. Es gibt kein richtiges Leben im Falschen. Für mich
nicht. Ich habe keine Kraft mehr. Ich fühle mich wie eine Kerze, deren Länge
vorbestimmt ist und die ununterbrochen an beiden Enden brennt. Wenn ich nicht
eines der Enden auspuste, ist es bald zu spät. Das fühle ich ganz deutlich. Das
hier auf Föhr ist ein Wink des Schicksals. Auch wenn das für dich zu pathetisch
klingen mag, mir ist es absolut ernst.«
Lena legte ihren Arm um seine Hüften und zog ihn sanft aber
bestimmt weiter.
»Du erlaubst aber schon, dass ich noch ein wenig gegen die
Windmühlenflügel kämpfe«, sagte sie betont scherzhaft, doch Leander fühlte, wie
sehr er sie verletzt hatte.
»Wenn es sein muss, Donna Quixote«, antwortete er besänftigend.
»Ich werde als dein Sancho Pansa allerdings nicht an deiner Seite reiten,
sondern stattdessen hier auf Föhr ein Lager für dich aufschlagen, in das du
jederzeit zurückkommen und in dem du deine Blessuren heilen kannst.«
Lena legte den Kopf an seine Schulter und ging schweigend neben
ihm.
Vielleicht ist es ja auch gut so, dachte Leander. Vielleicht
muss ich erst einmal alleine zur Ruhe kommen und mit mir selbst Frieden
schließen. Und dann kann ich auch irgendwann wieder für andere da sein; für
Lena und meine Kinder, bevor es zu spät ist.
Sie gingen noch eine Weile schweigend nebeneinander her und
drehten dann am befestigten Deich in der Höhe von Greveling um, liefen ein
Stück zurück und bogen an den ersten Appartementhäusern in einen Pfad ein, der
vom Strand wegführte. Als sie auf die Straße trafen, die Wyk mit Nieblum
verband, fanden sie sich direkt gegenüber dem Flugplatz wieder. Der lag so
verwaist da, dass sie sich entschlossen, ihn heute nicht zu besuchen.
Stattdessen ließen sie ihn links liegen und folgten der Straße bis zu ein paar
Baracken, die aussahen, als wären sie noch vom letzten Krieg übrig geblieben.
»So haben früher die Behelfsheime ausgesehen, in denen man die
Ostflüchtlinge untergebracht hat«, meinte Lena. »Sieh nur, die Kaschemmen sind
tatsächlich bewohnt.«
Eine kleine Straße, der Lerchenweg, der vor den merkwürdigen
Behausungen rechts einbog, führte sie zu einem Reiterhof auf der rechten Seite
und mitten in den Grünstreifen, durch den sie schon am Vortag gewandert waren.
Hier hielten sie sich weiter in Richtung Wyk und folgten dem Waldweg, vorbei an
einem Spielplatz mit Schleuderbaum, Wippe und Rutsche, auf dem heute kein Kind
spielte. Dafür war es zu kalt, und außerdem war ja Weihnachten.
Den weiteren Weg setzten sie nach Gefühl fort. So wählten sie
an Abzweigungen jeweils den Weg, der ihnen von der Himmelsrichtung her am
geeignetsten schien. Hin und wieder mussten sie kleine Siedlungsstraßen
überqueren, deren Namen eigentümlich spießig wirkten – Susanne-Fischer-Weg zum
Beispiel – um schließlich an einem Vogelgehege mit Kranichen und verschiedenen
Entenarten direkt gegenüber der Post und dem Heimatmuseum herauszukommen. Von
hier aus konnte man die Mühle des Notars Petersen sehen, die »Freundin des
Windes«. Diesmal blieben sie davor stehen. Lena bestaunte sie hinlänglich,
während Leander ihr von seinem Besuch beim Notar berichtete. Seine Begeisterung
für die Windmühle war durch die Atmosphäre der Kanzlei deutlich in
Mitleidenschaft gezogen worden.
Als Leander und Lena wieder nach Hause kamen, empfing sie die
Wärme des Kamins, dessen Glut gerade noch geeignet war, um neue Holzscheite
darauf zu legen und so das Feuer wieder in Gang zu bringen. Leander holte Rotwein
und Mineralwasser ins Wohnzimmer und setzte sich neben Lena auf die Couch. Ihr
Gesicht glühte in
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