Leander und der tiefe Frieden (German Edition)
der Kontakt zu seinem Sohn nicht bestanden hat, hat es auch keine
Gefahr für die Fünferbande gegeben. Aber jetzt ist der Fischer alt und will die
drängenden Fragen seines Enkels endlich beantworten. Er will sein Leben in Ordnung
bringen, bevor es zu spät ist, und das heißt konkret – sofern unser Verdacht
stimmt –, er will auspacken. Damit ist alles in Gefahr, was sich die feine
Gesellschaft auf der Insel aufgebaut hat.«
»Das würde zumindest erklären, warum die Freunde in letzter
Zeit Streit hatten. Eiken hat erzählt, Hinnerk habe regelrecht alleine
dagestanden. Selbst mit ihrem Großvater, der ein Leben lang sein bester Freund
gewesen ist, habe er sich zerstritten. Und es würde auch erklären, warum mein
Vater sich von Hinnerk so endgültig getrennt hat. Er muss zumindest etwas
geahnt haben, und das war für einen 68er und noch dazu einen späteren
Geschichtsprofessor natürlich eine Katastrophe – sein eigener Vater belastet
aus der Nazizeit.«
»Vorausgesetzt, Hinnerk und seine Freunde haben sich etwas
zuschulden kommen lassen. Bisher gehen wir ja nur davon aus, dass sie sich mit
ihrem Heldendasein geschäftliche Vorteile verschafft haben. Oder gibt es
Anhaltspunkte dafür, dass sie in Wirklichkeit gar keine Helden waren?«
Leander schüttelte den Kopf, wirkte allerdings keineswegs
überzeugt.
»Wir müssen der Sache weiter
nachgehen«, erklärte er. »Vielleicht weiß Brodersen etwas Näheres. Eiken sagt,
er sei so etwas wie der führende Heimatforscher auf der Insel. Ich treffe mich
morgen mit ihm, anschließend weiß ich vielleicht mehr.«
»Da komme ich natürlich mit, und vielleicht kaufe ich morgen
Kuchen und mache Frau Husen am Sonntag einen Anstandsbesuch, während du noch
einmal mit dem alten Jörgensen sprichst. So können wir uns doppelte Wege sparen.«
Leander brachte das Geschirr in die Küche und spülte es ab,
während sich Lena dem Ordner widmete. Dann kehrte er mit einer Flasche Rotwein
in die Wohnstube zurück. Während er sie entkorkte und zwei Gläser einfüllte,
ließ er sich von Lena berichten, was sie gelesen hatte.
»Nichts Neues eigentlich, bestenfalls eine Bestätigung unserer
Theorie«, erzählte sie. »Nur Artikel über den Erfolg Jessens als Makler und
Petersens als Rechtsanwalt und Notar. Nach der Entnazifizierung ist es mit
beiden steil bergauf gegangen. Kein Großprojekt in der Wirtschaftswunderzeit,
an dem sie nicht beteiligt waren. Sie haben sogar alle Vorhaben der Gemeinde
abgewickelt. Auch die Grundstücke auf Sylt, die nach dem Dritten Reich aus Wehrmachtsbesitz
privatisiert wurden, haben sie über Jessens Immobilienfirma vollständig
aufgekauft. Irritationen hat es nur in den achtziger Jahren gegeben, als
Petersen versucht hat, Bürgermeister zu werden. Erstaunlicherweise ist ihm das
nicht gelungen. Statt dessen ist ein gewisser Jens Rottmann auf die Insel und
ins Amt gekommen. Er stammt aus dem Ruhrgebiet, war vorher in der Dortmunder
Stadtverwaltung tätig. Allerdings hat er schon kurz darauf die Tochter Claus
Petersens geheiratet und damit offenbar so viel Geld, dass er in der Folgezeit
immer wieder erwähnt wird, wenn es um den Bau von Appartements oder die
Restaurierung alter Hofanlagen geht. Er scheint der Hauptinvestor bei allen
größeren privaten Projekten der letzten zwanzig Jahre zu sein, übrigens immer
im Zusammenhang mit der Nordfriesischen Haus-und Grundstücks-GmbH .«
»Und damit schließt sich der Kreis dann wieder, denn daran
waren die fünf ja beteiligt. Wahrscheinlich waren sie am Ende sogar froh, dass
mit Rottmann frisches Blut in die Geschäftsverbindungen kam.«
Sie blätterten weiter in dem Ordner, fanden aber lange Zeit
keine interessanten Neuigkeiten, bis sie schließlich auf einen Artikel aus dem Inselboten vom letzten Sommer stießen, der von einem Unfall berichtete. Ein englischer Tourist
war offenbar so unvorsichtig gewesen, alleine zu einer Wattwanderung
aufzubrechen. Auf dem Weg nach Amrum war er von der Flut überrascht worden und
ertrunken. Bei dem Versuch, die Leiche zurück nach England zu überführen, hatte
es Komplikationen gegeben, denn der Mann hatte keine Verwandten dort, so dass
niemand für die Überführung zuständig war. Schließlich hatte sich die Gemeinde
in Sussex, in der er ansässig gewesen war, bereit erklärt, die Kosten zu übernehmen.
»Warum verwahrt Hinnerk so einen Artikel?«, wunderte sich
Leander.
Lena zuckte nur mit den Schultern und blätterte weiter. Nun
blieb nur noch ein Briefumschlag
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