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Leander und der tiefe Frieden (German Edition)

Leander und der tiefe Frieden (German Edition)

Titel: Leander und der tiefe Frieden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Breuer
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hervorrief.
    »Wie jetzt?«, fragte Brodersen.
    »Meiner Ansicht nach habt ihr beide recht«, erklärte Leander.
»Allerdings Lena mehr als du, was nicht heißt, dass ich mich nur auf eine
taktische Position zurückziehen will, weil ich mit ihr liiert bin. Ich finde,
man kann vieles wiedergutmachen, wenn man seine Fehler einsieht und
entsprechend handelt. Dadurch werden die vorherigen Taten aber nicht
ungeschehen gemacht. Die Offiziere des Zwanzigsten Juli haben viel zu lange
mitgemacht, obwohl sie wissen mussten, dass der Angriffskrieg ein Verbrechen
war. Und sie haben erst zu einem Zeitpunkt gehandelt, als Deutschland den Krieg
zu verlieren drohte. Wie hätten sie wohl gehandelt, wenn das Kriegsglück weiter
auf deutscher Seite gewesen wäre? Ging es ihnen wirklich darum, einen
mörderischen Diktator zu beseitigen, oder wollten sie nur, dass das Kriegsende
für sie glimpflicher wurde?«
    »So ist es!«, triumphierte Lena. »Ich halte gar nichts von der
Theorie, dass man sich freikaufen kann, wenn man hinterher erklärt, man sei
nur ein Schaf im Wolfspelz gewesen und habe die Macht von innen ausgehöhlt.«
    »Ach«, begehrte Brodersen auf, »so simpel ist das doch nun auch
wieder nicht gewesen. Ich finde, entscheidend ist, dass man seine Fehler
irgendwann einsieht und entsprechend wiedergutmachend handelt. Der richtige
Zeitpunkt ist doch relativ.«
    »Es hat auch Menschen gegeben, die gar nicht erst mitgemacht
haben«, warf Lena ein. »Die Weiße Rose zum Beispiel, oder die Edelweißpiraten .«
    »Die kamen aber aus humanistisch gebildeten Familien
beziehungsweise aus der Arbeiterklasse und waren entsprechend geprägt. Die
Offiziere des Zwanzigsten Juli waren anders sozialisiert. Das waren zumeist
Adelige und seit Generationen Berufssoldaten, Männer mit soldatischer, größtenteils
preußischer Tradition. Die haben Hitler zunächst als Chance gesehen, wieder das
sein zu dürfen, was ihnen der Versailler Vertrag genommen hatte: Soldaten, und
dazu erfolgreiche Soldaten, wenn du an die Blitzkriege denkst.«
    »Eben«, schimpfte Lena, »Angriffskriege gegen friedliche
Staaten. Und dann all die Dinge, die sich hinter der Front abgespielt haben,
wenn du nur an die Einsatzgruppen im Osten denkst.«
    »Genau das hat ja auch dazu geführt, dass die Offiziere den
Irrweg erkannt haben. Sie waren nämlich mehrheitlich keine Nazis, auch wenn sie
national eingestellt waren. Aber welches Land in Europa war damals nicht
nationalistisch geprägt?«
    »Ich sage ja, ihr habt beide recht«, warf Leander ein, weil er
den Disput für wenig zielführend hielt.
    Brodersen gab seine Seite noch nicht auf: »Oder was sagst du zu
Hennings Großvater und seinen Freunden? Sie waren Soldaten, ja, aber sie haben
die Möglichkeiten ihrer Uniformen genutzt, um Menschen das Leben zu retten. Möglichkeiten,
die sie ohne Uniformen nicht gehabt hätten. Dabei haben sie natürlich
phasenweise das System im Krieg gestützt, auf dessen Seite sie gekämpft haben.
Schafe im Wolfspelz, wie du eben so schön gesagt hast. Und trotzdem müssen sie
meiner Ansicht nach nicht als Soldaten getadelt, sondern als Fluchthelfer
geehrt werden. Am Ende zählt vor allem, was hinten rauskommt.«
    Lena erwiderte nichts mehr. Sie schaute Leander fragend an,
weil sie offenbar erkannt hatte, dass er an persönlich wichtigeren Dingen
nagte. Auch Brodersen fiel auf, wie in sich gekehrt Leander war.
    »Was hast du erreicht?«, fragte er.
    »Carstens war nicht in der Uni, was ich mir ja hätte denken
können. Ich habe dann über die Homepage und das Hamburger Telefonverzeichnis
seine Adresse und Telefonnummer ausfindig gemacht und ihn privat angerufen. Er
hat sich sogar gefreut, von mir zu hören. Ich hatte ganz vergessen, dass wir
uns früher häufiger gesehen haben, als ich noch ein Kind war. Damals hat er im
selben Institut gearbeitet wie mein Vater, und seit eben weiß ich auch, woran
mein Vater damals gearbeitet hat.«
    Er goss sich Tee nach, der inzwischen kalt war, und trank einen
Schluck.
    Dann fuhr er fort: »Die Idee zu diesem Buch hier stammt von
meinem Vater. Allerdings hatte er eine andere Intention. Er wollte, ganz in der
68er-Stimmung verhaftet, seinem Vater nachweisen, dass er ein Kriegsverbrecher
gewesen sei. Seine Recherchen haben aber zum Gegenteil geführt, und weil er das
Gefühl nicht losgeworden ist, irgendetwas übersehen zu haben, weil er
vielleicht doch als Sohn eines Betroffenen betriebsblind sei, hat er das Thema
und seine Aufzeichnungen seinem Freund

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