Leander und der tiefe Frieden (German Edition)
grinsend. »Putzig ist für
mich was anderes. Auf jeden Fall scheinen die jungen Kollegen auch nicht mehr
das zu sein, was sie noch zu meiner Zeit waren.«
Dernau wollte etwas sagen, aber Bennings fasste nach seinem
Oberarm und fragte: »Oder haben Sie Anhaltspunkte, die die Sachlage verändern
könnten? Dann raus damit, jetzt und hier! Wenn nicht, schließen wir die Akte.
Sie können Ihren Großvater dann in ein paar Tagen beerdigen.«
»Das hört sich wie ein Köder an«, antwortete Leander. »Aber
seien Sie unbesorgt, wenn ich Ansatzpunkte habe, werde ich sie alleine
verfolgen. Ich laufe sonst Gefahr, dass Ihr Gehilfe die Spuren schneller
platttrampelt, als sie sich auftun können. Es bleibt mir nur, Ihnen eine gute
Überfahrt zu wünschen. Den Jahreswechsel können Sie dann ja wieder zu Hause
genießen.«
Bennings sah ihn einen
Moment forschend an, nickte dann aber und drehte sich um. Gefolgt von seinem
Assistenten verließ er grußlos das Haus. Leander warf die Tür laut ins Schloss.
»Dilettanten!«, schimpfte er und griff nach seinem Mantel.
»Allmählich bekommt man den Eindruck, im Staatsdienst findet so etwas wie eine
Negativ-Auslese statt. Dieser Dernau ist doch so blöd, dass ihn selbst die
Schweine nicht mehr beißen, weil sie Angst vor Schweinepest haben.«
»Rinderwahn«, verbesserte Lena und lachte. »Lass dir nicht die
Laune verderben. Wenn wir den Fall aufklären, wird die beiden Deppen das sehr
ärgern. Das sollte uns Ansporn genug sein.«
»Auf jeden Fall kriegen die dann eine Dienstaufsichtsbeschwerde
an den Hals, von der sie sich lange nicht erholen werden«, versprach Leander
und ging voran zur Haustür. »Ein paar Jahre Beförderungsstopp ärgert die mehr
als jeder unaufgeklärte Fall.«
»Versprich dir davon nicht zu viel«, wandte Lena ein. »Die
haben ja wirklich nichts in der Hand. Und dass sie den Fall so schnell
abschließen, weil sie nach Hause wollen, kannst du zwar unterstellen, aber
niemals nachweisen.«
Den Weg nach Boldixum machten sie zu Fuß. Das Wetter war
klar und trocken, die Luft eiskalt, und so war der Spaziergang durch die alten
verschneiten Reetdachsiedlungen entlang den Straßen Ohl Dörp und Holm sehr
angenehm. Brodersens Haus lag direkt am Kirchweg, der vor der Nikolaikirche als
kleine Stichstraße einer Handvoll Einfamilienhäusern im Studienrätestil eine
Heimat bot. Der Garten war von einem niedrigen Friesenwall umgeben, bewachsen mit
Heckenrosen. Zwischen dem Steinwall und einem Carport, in dem ein schwarzer
Volvo-Caravan parkte, führte der Plattenweg durch ein Törchen auf eine typische
blau-weiße Friesentür im Friesenerker zu.
Brodersen öffnete nach dem ersten Klingeln und freute sich
offensichtlich ehrlich, Leander und Lena begrüßen zu können.
»Meine Frau ist leider nicht da«, erklärte er. »Sie ist mit den
Kindern auf dem Festland bei meinen Schwiegereltern. Ich konnte mich drücken.
Silvester sind sie wieder zurück. Kann ich euch einen Tee und etwas Gebäck
anbieten?«
Sie nahmen dankbar an, zumal sie seit dem Frühstück nichts mehr
gegessen hatten. Während Brodersen in der Küche wirbelte, sahen sich Leander
und Lena im Wohnzimmer um. Moderne Möbel und große Fensterflächen zum Garten
hin machten den Raum hell und einladend. Leander erwischte sich dabei, dass er
schon nach wenigen Tagen im gediegenen Ambiente des Hauses seines Großvaters
eine Vorliebe für modernen Stil zu entwickeln begann.
Tom klapperte mit einem Tablett herein, wischte einige
Unterlagen zur Seite und stellte es auf dem Wohnzimmertisch ab.
»Bedient euch«, forderte er sie auf. »Die Plätzchen hat Elke
gebacken, sind ganz frisch.«
Sie setzten sich und kamen der Aufforderung nach, während
Brodersen Tee eingoss und Kandiszucker hineinfallen ließ. Dann gab er noch
einen Tropfen Milch hinzu, die sich wolkig in der Tasse ausbreitete.
»Wie gefällt es euch auf der Insel?«, eröffnete er das Gespräch.
Lena erzählte ausgiebig, wie urig und gemütlich sie es hier
finde und wie toll die Seeluft sei. Von ihren Strandspaziergängen erzählte sie
und von der Weite, die sie als befreiend empfand. Leander bemerkte einmal mehr,
wie sehr Lena Geselligkeit liebte. Er selbst war da eher zurückgezogen, aber
wenn so etwas wie Zusammenleben auf die Dauer funktionieren sollte, würde er da
freier werden und sich Lenas Bedürfnissen anpassen müssen.
»Wenn das Wetter so bleibt, zeige ich euch mal eine Vogelkoje«,
versprach Brodersen. »Da halten sich zur Zeit einige
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