Leander und die Stille der Koje (German Edition)
selben Moment den Schlag in der rechten Schulter spürte. Mit einer schnellen Drehung warf er sich zur Seite, gerade noch rechtzeitig, um den zischenden Einschlag im Mauerwerk zu hören und die Backsteinsplitter zu spüren, die ihm um die Ohren flogen. Und dann kam der Schlag gegen die Brust. Er landete in den Stockrosen neben der Treppe, wollte den Mund öffnen und schreien, aber da kam kein Laut. Und dann wurde es grau, dunkelgrau, grau-schwarz, schwarz …
Leander saß im Garten an dem alten klapprigen Holztisch, den er im Schuppen gefunden hatte, und trank aus seinem Rotweinglas, als Lena zu ihm trat. Sie hatte sich die Haare gewaschen, aber nicht geföhnt. Das gefiel Leander, denn dadurch wirkte sie nicht so wie sonst: als sei sie nur auf dem Sprung und hätte eigentlich gar keine Zeit für ihn. Sie trug eine kurze Hose und hatte sich nur eines seiner weiten dünnen T-Shirts übergeworfen, denn es war trotz der schon vorgerückten Stunde noch sehr stickig und schien sich heute gar nicht abkühlen zu wollen.
»Das hast du schön gemacht.« Lena deutete auf den gedeckten Tisch, in dessen Mitte eine große Salatschüssel, eine Platte mit Käse und ein Brotkorb mit Baguette standen. »Ich hätte heute Abend wirklich keine Lust mehr gehabt, irgendwo essen zu gehen.«
»Das habe ich mir gedacht. Also bin ich losgetigert und habe eingekauft. Das Brot ist zwar nur von Bäcker Hansen, nicht aus Mephistos Steinbackofen, aber das nehme ich gerne in Kauf, wenn ich Mephisto dafür nicht schon wieder ertragen muss.«
Lena setzte sich Leander gegenüber, beugte sich vor und streichelte ihm über den Arm.
»Schon gut«, entgegnete der. »Job ist Job, ich kenne das ja. Und wenn der Fall endlich gelöst ist, haben wir ja zusammen ein paar Wochen für uns. Das heißt, wenn du dich nicht wieder auf eine neue Sache ansetzen lässt.«
»Versprochen. Noch einmal lasse ich mir den Urlaub nicht nehmen.«
Leander goss Lena Rotwein ein, reichte ihr das Glas und stieß mit ihr an. Dann hielt er ihr den Brotkorb hin.
Während des Essens schwiegen beide, Lena offensichtlich erschöpft, Leander in Gedanken.
»Was wollte Erik?«, fragte Lena schließlich.
»Ich habe ihn angerufen. Als du immer noch nicht nach Hause kamst, habe ich gedacht, ich könnte die Zeit genauso gut nutzen, um mich um die Stiftung zu kümmern. Also habe ich Erik gefragt, wie weit er damit ist.«
»Und?«, fragte Lena. »Kommt er voran?«
»Das gestaltet sich schwieriger, als er gedacht hat, selbst im Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Aber jetzt hat er wohl den entscheidenden Durchbruch erzielt. Spätestens im Herbst will er nach Föhr kommen, damit wir die notwendigen Formalitäten abschließen und die Verträge unterschreiben können. Er lässt dich grüßen und sagt, seit er uns kenne, habe er endlich wieder einen Grund, in seine alte Heimat zu kommen.«
»Das ist nett von ihm. Kaum zu glauben, dass er der Sohn dieses eingebildeten Menschenverächters ist.« Sie nahm sich vom Salat und vom Käse und genoss sichtlich das einfache Abendessen und die Ruhe des Gartens. In diesem Moment hörten sie die Klingel an der Haustür.
»Oh, nein«, stöhnte Lena. »Wer ist das denn jetzt schon wieder? Hoffentlich nicht Frau Husen.«
Leander stand auf und ging ins Haus. Wenig später kam er mit Eiken und Dieter Bennings zurück.
»Tut mir leid, Lena«, rief ihr Kollege schon von der Gartentür her. »Ich muss dich holen: ein Anschlag auf Ole Paulsen. Er liegt mit schweren Schussverletzungen im Krankenhaus und ist momentan noch nicht ansprechbar. Wir müssen raus nach Alkersum, zum Tatort. Paul Woyke und Helge Dulz sind schon da.«
Lena erhob sich schwer aus ihrem Stuhl und warf Leander einen entschuldigenden Blick zu. »Dann muss ich mir doch noch etwas Anständiges anziehen. – Tut mir leid, Henning.«
Der winkte ab. »Eiken ist ja da. Sie wird von deinem Tellerchen essen und aus deinem Becherchen trinken.«
»Aber wehe, wenn sie in meinem Bettchen schläft!«, rief Lena und grinste, als sie ins Haus ging.
Minuten später winkte sie Dieter Bennings aus der Tür zu, und beide machten sich auf den Weg.
»Das nimmt aber auch kein Ende mit dem Fall«, meinte Eiken und setzte sich auf Lenas Stuhl. »Täusche ich mich, oder haben die beiden sich wirklich völlig verrannt?«
Henning Leander nickte und antwortete mehr zu sich selbst als an Eiken gewandt: »Ich habe den Eindruck, dass ich mich mal etwas mehr in die Sache einklinken sollte.«
»Vorsicht, Herr
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