Leander und die Stille der Koje (German Edition)
der Zeitung stehen, egal, ob ihr mir sagt, wie es war, oder ob ich es mir zusammenreimen muss.«
»Lass gut sein, Anna«, sagte Günter Wiese nun und ließ sich wieder in sein Kissen sinken. »Vielleicht ist das wirklich unsere einzige Chance, die Verhältnisse darzustellen, wie sie sind. Er hat recht: Was haben wir zu verlieren?«
Anna Wiese stand auf und ging grußlos aus dem Zimmer.
Als Bertolt Brüning eine Stunde später auf dem Flur an ihr vorbeilief, lächelte er zufrieden; er hatte seine Story.
Paul Woyke trat zu Lena und Dieter Bennings ins Büro und legte den Autoschlüssel des Golf Variant auf den Tisch. Dabei kratzte er sich bedauernd den Dreitagebart.
»Tja, wie vermutet: keinerlei Spuren. Wer auch immer die Radschrauben gelöst hat, anhand des Autos werden wir es ihm nicht nachweisen. Wir müssten schon den Radschlüssel haben, mit dem er gearbeitet hat. Seid mir nicht böse, aber ich mache mich jetzt vom Acker. Die Waffen nehme ich mir morgen vor. Wie heißt es so schön? Morgen ist auch noch ein Tag.« Er grüßte mit der rechten Hand und verließ die Zentralstation.
»Wir sollten auch Schluss machen«, stimmte Lena dem Kriminaltechniker zu. »Der Tag war lang genug. Und Henning wird ohnehin schon sauer sein. Außerdem wartet Eiken auf dich, wenn ich mich nicht irre, oder?«
»Wir sind zum Essen verabredet«, antwortete Dieter Bennings grinsend und fuhr seinen Rechner herunter.
Sie verließen das Büro und traten an den Tresen, wo Polizeimeister Dennis Groth bereits seinen Spätdienst angetreten hatte.
»Herr Groth, schließen Sie die Waffen, die die Kollegen Vedder und Olufs gleich bringen werden, bitte sicher ein«, ordnete Lena an. »Und achten Sie darauf, dass niemand sie anrührt. Auch kein Polizist – schon gar kein Vorgesetzter, wenn Sie verstehen, was ich meine. Morgen werden sie von der Kriminaltechnik untersucht. Ich wünsche Ihnen einen ruhigen Nachtdienst.«
Sie verließen die Zentralstation und gingen bis zum Rathausplatz gemeinsam, dann trennten sie sich. Lena eilte direkt nach Hause, in der Hoffnung, dass Leander nicht allzu eingeschnappt war. Aber was sollte sie denn machen? Im Gegensatz zu ihm hatte sie hier auf der Insel einen Mordfall aufzuklären. Und wie es aussah, kamen jetzt auch noch zwei Mordanschläge hinzu.
Als sie das Haus betrat, hörte sie Leanders Stimme in der Wohnstube. Sie schaute vorsichtig durch die Tür, in der Hoffnung, jetzt nicht auch noch unliebsamen Besuch zu haben – Frau Husen zum Beispiel –, und war erleichtert, als sie Leander mit dem Telefonhörer in der Hand erblickte.
Der winkte ihr fröhlich zu, hielt einen Moment lang die linke Hand auf das Mikrofon und flüsterte: »Erik.«
»Grüß ihn von mir«, flüsterte Lena zurück und ging hinauf ins Bad, um sich nach dem langen heißen Tag, noch dazu mit einem Aufenthalt in der Marsch, eine Dusche zu gönnen.
Dass Leander so gelöst wirkte und gar nicht sauer zu sein schien, lag bestimmt an diesem Anruf. Erik Petersen war Rechtsanwalt in den USA. Leander und sie hatten ihn im letzten Jahr kennengelernt, als sie im Todesfall des alten Hinnerk ermittelt hatten. Nun verwaltete Erik die Stiftung, die Leander mit einem Teil seines Erbes eingerichtet hatte und die sich für Kinder in Kriegsgebieten einsetzte.
Sie stand noch unter dem Wasserschwall und spürte ihren müden Knochen nach, als Leander das Bad betrat. »Wenn du gleich so weit bist, dann komm in den Garten. Ich habe mir gedacht, dass du heute bestimmt nicht mehr ausgehen willst, und uns etwas zu essen gemacht. Lass dir Zeit, es ist nichts, das kalt werden könnte.«
Lena blickte ihm dankbar nach, als er das Badezimmer wieder verließ. Es wurde Zeit, dass sie endlich wieder zur Ruhe kam und den lang ersehnten Urlaub antreten konnte. Sie hoffte inständig, dass irgendetwas passierte, das die Fälle schnell zu einem Abschluss brachte.
Wie schnell das Nächste passieren würde, konnte sie nicht ahnen.
Ole Paulsen starrte auf den Bildschirm und raufte sich die Haare, als er sah, wie sich an diesem Tag wieder die Kurse entwickelten. Seit der Finanzkrise lief einfach überhaupt nichts mehr, jedenfalls nicht die Außenseiterwerte, mit denen sich sonst die große Kohle machen ließ. Theoretisch. In Wahrheit hatte Paulsen schon lange keine große Kohle mehr gemacht. Und wenn er ganz ehrlich mit sich selbst gewesen wäre, hätte er zugeben müssen, dass das schon seit dem Zusammenbruch des Neuen Marktes so ging. Damals hatte er mehrere
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