Leander und die Stille der Koje (German Edition)
wurde deutlich unabhängiger von seinem bisherigen Leben und richtete sich in seiner neuen Heimat immer mehr ein. Einerseits freute sich Lena für ihn, andererseits spürte sie die Entfremdung, die ihnen beiden dadurch drohte.
»Was wollen Sie denn schon wieder hier?«, erhitzte sich Brar Arfsten, als die Kriminalbeamten seinen Stall betraten.
Lena fiel auf, dass es hier deutlich kühler war als draußen in der Sonne. Dabei hatte sie eigentlich damit gerechnet, dass sich die Hitze gerade unter dem Blechdach der Scheune ordentlich anstauen würde. »Sagen Sie, haben Sie hier drin etwa eine Klimaanlage?«, erkundigte sie sich erstaunt.
»Natürlich!«, entgegnete der widerwillig. »Ich habe Ihnen doch schon einmal gesagt, dass wir hier Hightech einsetzen, um den Tieren ihre kurze Lebenszeit so angenehm wie möglich zu machen. Außerdem bedeutet Hitze Stress für die Tiere, und Stress führt zu geringeren Erträgen und steigenden Krankenzahlen.«
»Bei Ihnen möchte ich ein Rindvieh sein«, reagierte Dieter Bennings ironisch.
»Ich will Sie nicht beleidigen«, antwortete Brar Arfsten, »aber bei Ihrem Beruf wären Sie sogar prädestiniert dazu.«
»Herr Arfsten, wir kommen noch einmal zu Ihnen, weil sich neue Verdachtsmomente ergeben haben«, übernahm Lena nun wieder die Regie. »Wo können wir ungestört reden?«
Der Landwirt deutete widerwillig mit dem Kopf auf den Ausgang und schritt voran durch die frei durcheinanderlaufenden Kühe. »Lassen Sie uns ins Haus gehen«, sagte er. »Da ist es ruhiger, und eine Klimaanlage gibt es da auch.«
Sie überquerten den Hof und steuerten direkt auf das Wohnhaus zu. Brar Arfsten drückte die Klinke der unverschlossenen Haustür hinunter und trat in die geräumige Diele. Hier zog er seine Gummistiefel aus, was dazu führte, dass sich schnell ein Geruch nach Schweißfüßen breitmachte. Bei diesem Wetter ist das kein Wunder, dachte Lena, noch dazu, wenn man Gummistiefel trägt.
»Haben Sie keine Angst, wenn Sie Ihre Haustür unverschlossen lassen?«, erkundigte sich Dieter Bennings.
»Wir sind hier auf Föhr, Herr Hauptkommissar, nicht in Flensburg oder Kiel. Hier gibt es keine Junkies und osteuropäische Einbrecherbanden. Von hier kommt man nämlich nicht mal eben schnell auf eine Autobahn und ist dann weg.«
»Zugegeben, auch wenn ich mir hinsichtlich der Junkies an keinem Ort der Welt mehr so sicher wäre. Aber dafür haben Sie hier ganz andere Fehden: solche, die auf dem Festland weit ins vergangene Jahrhundert verwiesen würden, wenn Sie verstehen, was ich meine.«
»Jetzt tun Sie mal nicht so zivilisiert. Vielleicht tragen wir unsere Streitigkeiten hier nur offener aus als Sie auf dem Festland. Hier kann man sich nämlich nicht so einfach aus dem Weg gehen. Auf so einer Insel ist es enger, da muss man Lösungen finden, wenn es Probleme gibt.«
Er deutete im Wohnzimmer auf die beiden Sessel und das Sofa. Dieter Bennings wählte Letzteres, und als Brar Arfsten sich in einen der Sessel setzte, nahm Lena ihm direkt gegenüber Platz.
»Deshalb sind wir hier«, sagte sie. »Sie hatten Probleme mit Nahmen Rickmers und mit Ole Paulsen.«
Brar Arfsten blickte sie herausfordernd an, machte aber keine Anstalten, auf die Feststellung zu reagieren.
»Nahmen Rickmers stand Ihnen in mehrfacher Hinsicht im Weg«, fuhr Lena fort. »Nach seinem Tod haben Sie freie Bahn bei seiner Frau und sind so ganz nebenbei auch noch einen harten Geschäftspartner losgeworden, der Ihnen bei einem nächsten Vorfall die Lieferverträge gekündigt hätte. Und Ole Paulsen hat Ihr Geld verspielt, so dass Sie Hilke Rickmers’ Hilfe annehmen mussten und dadurch in doppelter Weise von der Familie Rickmers abhängig sind. Nach Herrn Rickmers’ Tod können Sie sich den Teil Ihrer Zuchtfabrik hier zurückholen. Sie müssen nur warten, bis Frau Rickmers für Sie bereit ist. Dann gehört auch noch der Rest der Handelskette zu Ihrem Betrieb.«
»Sind Sie jetzt fertig?«, zeigte sich Brar Arfsten unbeeindruckt. »Dann will ich Ihnen mal etwas sagen: Ich habe ein Alibi für den Zeitpunkt, an dem mein Freund Nahmen ermordet wurde.«
»Ein Alibi, das Ihnen jeder Staatsanwalt und Richter in der Luft zerreißt, denn Frau Rickmers profitiert ja ebenfalls von Ihrer Tat.«
»Dann beweisen Sie mir das mal. Noch liegt in unserem Rechtsstaat die Beweislast bei den Strafverfolgungsbehörden. Und für den Anschlag auf Ole Paulsen habe ich ebenfalls ein Alibi. An dem Abend habe ich mich nämlich mit meiner Frau
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