Leander und die Stille der Koje (German Edition)
aussah wie eine Vogelkoje. Der Weg zum Eingang lag verdeckt zwischen hohen Büschen auf beiden Seiten und war mit wadenhohem Gras bewachsen.
Leander bog hinein und radelte, so gut es ging, ein paar Meter weiter, bis er nach einer kleinen Biegung nicht mehr von der Straße aus zu sehen war. Dann stieg er ab, stellte sein Fahrrad auf den Ständer und trat an den Wegesrand, um sich zu erleichtern. Anschließend wollte er schon wieder in Richtung Straße schieben, als er es sich anders überlegte und beschloss, einmal nachzusehen, was es in dem Wäldchen eigentlich gab und wohin der zugewachsene Weg führte. Sein Fahrrad ließ er stehen und ging die wenigen Meter zu Fuß, bis er schließlich nach einer weiteren Biegung plötzlich vor einem geparkten Auto stand.
Es handelte sich um einen silbernen Geländewagen der Marke Mercedes, ein teures Modell, das Leander irgendwoher bekannt vorkam. Ein Blick auf die Heckscheibe verriet ihm schließlich, wo er das Fahrzeug schon einmal gesehen hatte: gestern vor dem Autohaus im Industriegebiet. Da hatte ihn genau dieser Wagen fast erwischt, als er halsbrecherisch aus der Einfahrt geschossen war. Eindeutig: Auf der Heckscheibe prangte der Name der Band Frei-Wild. Der Fahrer des Wagens war nirgendwo zu sehen. Direkt hinter dem Wagen endete der Weg vor einem Stacheldrahtzaun. Leander spähte hinüber, konnte aber im Dickicht der Bäume und Sträucher absolut nichts entdecken. Etwas rechts war der Stacheldraht niedergedrückt. Leander überlegte einen Moment, ob er hinüberklettern sollte, verwarf den Gedanken aber gleich wieder, da der Zugang offensichtlich versperrt sein sollte und er Gefahr liefe, innerhalb der Anlage auf den Fahrer des Wagens zu treffen, der ihn nach seiner Befugnis fragen konnte. So beschloss er, zu seinem Fahrrad zurückzukehren und den Weg in Richtung Nieblum fortzusetzen.
Eine Gruppe anderer Radfahrer fuhr an der Zufahrt zu dem Wäldchen vorbei, ohne auf ihn zu achten, und Leander hörte, wie einer der Radler den anderen erklärte, dass es sich dabei um die stillgelegte Borgsumer Vogelkoje handele. Er schwang sich auf sein Fahrrad und strampelte hinter der Gruppe her, die gemächlich in die Pedale trat und es offensichtlich nicht eilig hatte. Nach wenigen Metern hatte er sie eingeholt und musste klingeln, um vorbeigelassen zu werden. Dann schaltete er zügig hoch und nahm schnell ordentlich Fahrt auf.
Nach einigen Minuten ertönte weit hinter ihm lautes Hupen, gefolgt von verärgerten Rufen und heftigem Fahrradklingeln. Leander blickte sich um und sah, wie ein Pkw sich an der Gruppe Radfahrer vorbeiquetschte und sie dabei gefährlich in Richtung Graben drängte. Direkt nach der Gruppe nahm er rasch wieder Tempo auf und raste auf Leander zu, der sicherheitshalber einen Schlenker in eine Feldzufahrt machte und scharf bremste. Der Wagen raste hupend an ihm vorbei und ließ eine dichte Staubwolke hinter sich. Bevor Leander jedoch darin eingehüllt wurde, erkannte er die Aufschrift auf der Heckscheibe: »Frei-Wild«. So langsam ging ihm dieser Kerl auf die Nerven.
Auf dem Rückweg nach Wyk hielten Lena und Dieter Bennings in Wrixum direkt gegenüber der Mühle in einem kleinen Feldweg, in dem Frau Arfstens Schwester mit ihrer Familie wohnte. Das Haus lag etwas zurück hinter einem eingezäunten Grundstück, auf dem Hühner frei herumliefen. Insgesamt wirkte das Anwesen weit dörflicher und bäuerlicher als Brar Arfstens Hof.
Gleich nach dem ersten Klingeln öffnete eine rotwangige, rundliche Frau, die Frau Arfsten erstaunlich ähnlich sah, die Tür. Überall im Gesicht zogen winzige Äderchen ein feines rotes Netz dicht unter die Haut. Lena zeigte ihren Ausweis vor und fragte nach Frau Arfsten.
»Kommen Sie«, antwortete die Schwester und führte die Kriminalbeamten außen am Haus vorbei auf die Rückseite, wo Frau Arfsten mit einer Zeitung in der Hand zwischen Obstbäumen in einem Gartenstuhl saß. Zu ihren Füßen hatte sich eine schwarz-weiße Katze zusammengerollt und döste in der Sonne.
»Wir wollen Sie nicht lange stören«, sagte Lena. »Wir brauchen nur eine Aussage von Ihnen.«
»Sie stören nicht«, entgegnete die Frau, und man konnte deutlich sehen, wie sich die derzeitigen Probleme in ihr Gesicht gefressen hatten. »Ich habe im Moment sehr viel Zeit. Wissen Sie, ich bin es nicht mehr gewohnt, am Nachmittag einfach so herumzusitzen. Auf einem Bauernhof gibt es von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang immer etwas zu tun.«
»Sind Sie von dem
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