Leander und die Stille der Koje (German Edition)
halten diesem Druck doch nicht Stand.«
Fassungslos starrte Melf Albertsen sie an. »Ich soll … Anna … Günter, die glauben, dass ich …« Dabei überschlug sich seine Stimme vor Entrüstung. Oder war es Panik?
»Das ist doch Unsinn!«, regte sich nun Anna Wiese auf. »Melf tut keiner Fliege was zuleide. Sehen Sie nicht, wie fertig er ist? Er hat sich gestern Abend nicht einmal alleine nach Hause getraut und bei uns übernachtet. Und Günter tut auch niemandem etwas. Die beiden sorgen dafür, dass ein Lebensraum für Vögel geschaffen wird, die setzen sich für das Leben von Tieren ein! Da gehen die doch nicht hin und töten Menschen! Wissen Sie eigentlich, was Sie da behaupten? Paulsen hat auf meinen Mann geschossen, er vernichtet die Beweise und geht straffrei aus. Aber wenn auf ihn geschossen wird, dann brauchen Sie keine Beweise, um unschuldige Menschen einzusperren?«
»Natürlich brauchen wir auch dann Beweise«, versuchte Lena, die Frau zu beruhigen. »Deshalb sind wir unter anderem hier. Und was den Angriff auf Ihren Mann angeht: Wir wissen inzwischen, dass seine Darstellung der Vorfälle der Wahrheit entspricht. Ole Paulsen hatte die Videokamera mit dem Film, den Sie, Herr Wiese, aufgenommen haben, in seinem Büro. Sollte er den Anschlag überleben, wird er sich dafür vor Gericht verantworten müssen. Nach der Waffe, mit der auf Sie geschossen und mit der Sie vermutlich auch niedergeschlagen wurden, suchen wir noch. Die ist ihm angeblich gestohlen worden.«
»Na also, was wollen Sie dann noch von uns?«, reagierte Anna Wiese barsch.
»Frau Wiese«, fuhr Lena in demselben beruhigenden Ton fort. »Wir suchen einen Mörder. Es gibt keine Hinweise darauf, dass das Motiv nicht in dem Konflikt zwischen den Jägern und den Umweltschützern zu suchen ist.«
»Sie haben aber auch keine Beweise dafür. Und solange das so ist, lassen Sie uns gefälligst in Ruhe.«
»Gut. Herr Albertsen, falls Sie es sich anders überlegen oder Ihnen noch etwas einfällt, wissen Sie ja, wo Sie uns finden. Glauben Sie mir, je eher der Fall geklärt ist, desto schneller kommen Sie zur Ruhe.«
Lena und Dieter Bennings erhoben sich und verließen mit einem abschließenden Kopfnicken den Raum. Auf dem Weg durch den Flur folgte Anna Wiese ihnen, zog dabei die Tür zum Frühstücksraum leicht zu und trat mit den Kriminalbeamten auf die Treppenstufen vor der Haustür.
»Sie sind auf der falschen Spur«, sagte sie eindringlich und so leise, dass ihr Mann und Melf Albertsen sie garantiert nicht hören konnten. »Sehen Sie nicht, dass Melf am Ende ist? Er ist nicht so stark wie mein Mann. Mit seiner Praxis kommt er wegen der Vereinsarbeit auf keinen grünen Zweig. Die Leute in Utersum schneiden und beschimpfen ihn. Wenn jetzt auch noch Sie Jagd auf ihn machen, dann hält er das nicht aus.«
»Wir machen keine Jagd auf Herrn Albertsen«, stellte Lena klar. »Aber wir sind nun einmal verpflichtet, allen Spuren zu folgen und Verdachtsmomente auszuräumen oder zu bestätigen. Herrn Albertsens Lage ist prekär, das sehen wir durchaus. Aber gerade das kann ein Motiv für eine Verzweiflungstat sein.«
»Verzweiflungstat, ja?« Anna Wiese funkelte Lena böse an. »Verzweifelt ist Melf, das stimmt. Und genau davor habe ich Angst, wenn Sie ihn in die Enge treiben.«
Sie drehte sich abrupt um, trat in den Hausflur und warf die Haustür krachend hinter sich ins Schloss. Lena blickte Dieter Bennings an, aber der zog nur die Schultern hoch und ließ sie langsam wieder sinken. Schweigend verließen sie das Grundstück. Als sie aus dem Baumschatten heraus auf die Straße traten, prallten sie gegen die Hitze wie auf eine Mauer. Lena atmete tief durch.
»Das war starker Tobak da drin«, schloss sich Dieter Bennings jetzt Anna Wieses Kritik an. »Glaubst du wirklich, dass Albertsen es war?«
»Ich weiß nicht mehr, was ich glaube«, gestand Lena. »Allerdings habe ich das Gefühl, dass wir irgendetwas übersehen. Komm, lass uns in den Park am Ende der Straße gehen. Ich brauche Schatten zum Nachdenken.«
Sie gingen die Feldstraße bis zum Park an der Mühle hinunter und betraten das Kleinod, in dem es aus allen Richtungen leicht plätscherte. Die Bank am Teich hinter dem mit Märchenmotiven gestalteten Torbogen war frei, so dass sie sich dort niederließen. Auf dem glatten Wasserspiegel ruhten die weit geöffneten Seerosen inmitten ihrer großflächigen Blätter, Libellen kreisten wie kleine Helikopter darüber. Lena ließ das Gespräch mit dem
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