Leander und die Stille der Koje (German Edition)
abwürgte. Angestrengt suchte Albertsen den finsteren Hof mit seinen Augen ab, aber außerhalb der Scheinwerferkegel lag vor der schwarzen Silhouette seines Hauses alles friedlich und verlassen da. Hatte er sich geirrt? Bestimmt. Wer sollte denn auch hier am Ende der Welt im Dunkeln herumhuschen? Melf Albertsen rief sich zur Vernunft. Seine Nerven waren überreizt. Es war einfach alles viel zu viel in letzter Zeit.
Er ließ den Motor wieder an und fuhr im Schleichtempo die letzten Meter bis vor den Schuppen. Bevor er ausstieg, suchte er noch einmal die Gebäude mit den Augen ab, aber da war absolut nichts. Er atmete tief durch und verließ den Schutz seines Wagens. Gleichzeitig mit dem Zuschlagen der Tür klapperte in der flachen Remise zwischen Schuppen und Haus etwas, so als sei ein Blecheimer zu Boden gefallen.
Melf Albertsen geriet in Panik. Er rannte zur Haustür, als sei ihm der Teufel persönlich auf den Fersen. Mit zittrigen Fingern fummelte er den Haustürschlüssel ins Schloss, drückte die Tür einen Spalt breit auf und huschte hindurch, um sich sofort von innen dagegen zu werfen, so dass sie laut krachend wieder zufiel. Keuchend lehnte er da und wischte sich mit der linken Hand den Schweiß von Stirn und Gesicht. Angestrengt lauschte er durch die verschlossene Tür auf den Hof hinaus, aber da war nichts mehr zu hören.
Als Melf Albertsen wieder einigermaßen bei Atem war und sich etwas beruhigt hatte, schaltete er das Licht im Flur an und bewegte sich vorsichtig in Richtung Küche. Zwar hatte er die Schatten draußen gesehen, aber wer sagte ihm denn, dass nicht auch jemand im Haus war? Die Küche lag so unschuldig da, wie er sie gestern verlassen hatte. Auch die anderen Räume, die er nun nach und nach inspizierte, wiesen keinerlei Spuren irgendwelcher Eindringlinge auf. Hier in seinem Haus war er sicher.
Albertsen atmete tief durch und ließ sich in der Wohnstube in einen Sessel fallen, fuhr aber gleich wieder hoch, als sein Blick auf das Fenster fiel. Schwarz starrte es ihn an, und er wäre gar nicht erstaunt gewesen, wenn jetzt auch noch eine Fratze hindurchgesehen hätte. Aber da war nichts. Mist, er musste noch die Holzläden schließen. Das alte Haus besaß keine Rollläden an den Fenstern, sondern Klappläden aus Holz, auf die Albertsen immer besonders stolz gewesen war, weil sie so nostalgisch wirkten und dem Haus einen bäuerlichen Charakter gaben. Jetzt, hier, in der Finsternis und vor dem Hintergrund der Bedrohung, der er sich ausgesetzt fühlte, waren diese Fensterläden geradezu ein Fluch.
Normalerweise musste man außen an den Hauswänden die Feststellklemmen lösen und die Läden vor die Scheiben klappen. Dann konnte man sie von innen durch das offene Fenster verriegeln. Melf Albertsen atmete tief durch und zwang sich zur Ruhe. Wer sagte ihm denn überhaupt, dass da draußen jemand war? Er rief sich das Geschehen noch einmal vor Augen: Als er die Wagentür zugeschlagen hatte, war in der Remise ein Eimer umgeworfen worden. Was hatte das schon zu sagen? Bestimmt hatte sich eine der Katzen, die hier immer herumstreunten und Mäuse jagten, durch den Knall der Autotür erschreckt und den Eimer im Wegspringen umgestoßen. Natürlich, was auch sonst?
Melf Albertsen erhob sich wieder aus seinem Sessel und überlegte einen Moment, ob er mit einer Taschenlampe nachsehen und dabei die Klappläden schließen sollte. Diesen Gedanken verwarf er jedoch schnell wieder. Er musste sich nicht beweisen, dass er so mutig war, wie er es eben gar nicht war. Stattdessen würde er sich etwas verrenken und die Fensterläden von innen verschließen.
Mit dem Wohnzimmerfenster fing er an. Er öffnete die Glasflügel, beugte sich weit über die Fensterbank hinaus nach draußen, schob die beiden Klemmen links und rechts zurück und angelte die Holzläden zu sich herüber. Dann legte er von innen den Eisenriegel vor und verschloss das Fenster wieder. Na bitte, war doch gar kein Problem! Und angefallen hatte ihn auch niemand, weil da draußen nämlich niemand war. Außer einer Katze vielleicht, die ihn noch viel ängstlicher aus der Dunkelheit des Hofes heraus beobachtete und froh war, dass er ihr das Leben ließ.
Melf Albertsen lachte laut auf, um sich Mut zu machen, und verschloss nach und nach die Fensterläden zunächst im Erdgeschoss und dann im Dachgeschoss. Erleichtert sank er schließlich oben im Schlafzimmer auf sein Bett und fühlte seinem Herzschlag nach, der langsam leiser und gleichmäßiger
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