Leander und die Stille der Koje (German Edition)
hinzusehen, was angesichts der Tatsache, dass sich nun alles um ihn drehte und vor seinen Augen verschwamm, gar nicht so einfach war. Und dann entdeckte er noch etwas, das ihm endgültig den Atem nahm und dafür sorgte, dass er sich schwankend nach hinten sinken ließ und auf sein Bett fiel, wo er mühsam nach Luft rang. Er zerrte am Halsausschnitt seines Schlafanzuges und wischte sich die Augen, aber er wurde das abscheuliche Bild nicht los. Röchelnd sackte er in sich zusammen.
Hein Frerich und Malte Ottensen blickten durch das Fenster des Oldsumer Kruges in den immer dunkler werdenden Himmel. Den ganzen Vormittag über hatte sich schon angekündigt, dass es heute nicht trocken bleiben würde, und so hatte es sich gar nicht erst gelohnt, auf ihren Höfen mit der Arbeit zu beginnen. Seit zwei Stunden saßen sie nun hier und bestätigten sich gegenseitig, dass das Leben als Landwirt heute auch nicht mehr das war, was man vor zwanzig Jahren noch gehabt hatte. Und den Ursprung allen Übels machten sie im Rahmen ihrer historischen und philosophischen Betrachtung des Problems auch ausfindig: dieser zugezogene Spinner Günter Wiese mit seinen Stänkereien und Renaturierungen, die angesichts ihrer zerstörerischen Folgen fast schon terroristischen Akten gleichzusetzen waren. Die Umweltschützer und die Islamisten, das waren die wirklichen Feinde der Zivilisation heutzutage.
Nur in einer Frage waren sie sich nicht ganz einig, nämlich darin, wie sie die Rolle dieses Kurpfuschers Melf Albertsen zu bewerten hatten. Hein Frerichs Urteil war knallhart, für ihn waren Wiese und Albertsen gleichermaßen Verbrecher, die man am besten gleich am nächsten Dachbalken erhängen sollte. Malte Ottensen hielt Albertsen für umgänglicher als Wiese, schließlich hatte der Arzt seiner Schwägerin vor ein paar Jahren zu ein paar sehr angenehmen Anwendungen verholfen, die die Krankenkasse ohne das Gutachten des Mediziners niemals bezahlt hätte.
Jetzt erklang von fern das erste Gewittergrollen, und wenn man genau hinsah, konnte man auch die Lichtreflexe der Blitze weit weg hinter den Sträuchern aufleuchten sehen.
»Wenn dat man guet goet«, nuschelte Ottensen und nahm einen tiefen Schluck aus seinem Bierglas. »Hannes, da mach uns man noch een Klaaren drop.«
Der Wirt goss wortlos zwei Schnapsgläser randvoll und stellte sie überschwappend vor den Männern auf den Tisch. Bei so guten Stammgästen war man nicht kleinlich. In dem Moment klingelte das Telefon. Er schlurfte zurück hinter den Tresen und nahm den Hörer ab.
» Oldsumer Krug «, meldete er sich und lauschte einen Moment, ohne dass seinem Gesicht irgendeine Regung zu entnehmen gewesen wäre. »Joh, segg ich eam.« Dann legte er wieder auf und rief zum Tisch seiner beiden Gäste hinüber: »Hein, deine Olle. Du solls sofort nach Hause kommen. Die Viecher sin ganz toll vun’m Wetter.«
Hein Frerich wollte etwas Abweisendes erwidern, aber er erkannte messerscharf, dass es dafür wohl zu spät war, denn seine Frau war ja nicht mehr am Telefon. Und den Wirt aufzufordern, sie noch einmal anzurufen und ihr auszurichten, dass ihr Mann keinen Sinn darin sehe, nach Hause zu kommen, ging dann wohl doch etwas zu weit. Ächzend beugte er sich vor, hob sein Schnapsglas in Malte Ottensens Richtung, kippte es in einem Zug und spülte mit dem Rest aus seinem Bierglas nach.
Mitleidig sah Malte Ottensen zu, wie sein Kumpel sich aus dem Stuhl wuchtete und mit einem wortlosen Gruß in Richtung Theke aus der Gastwirtschaft schlurfte.
»Kann man nix machen«, kommentierte er in Richtung Wirt. »Der hat seine Olle nich im Griff. Mach mir ma noch’n Bier un’n Klaaren, Hannes.«
Heinz Baginski war so in seinem Element, dass er das dumpfe Grollen in der Ferne zunächst gar nicht wahrnahm. Hier in der angenehm kühlen, von Erde halb bedeckten Wellblechhütte, die nur an der Rundung ganz oben freizuliegen schien – hin und wieder trappelten Vogelfüße über das Blech –, hatte er die schwüle Hitze da draußen völlig verdrängt. Allein das Flimmern in der Luft erinnerte an die hohe Verdunstungsmenge über der Wasserfläche. Erst ein Dreh am Polfilter rückte die schwarzen Wolken in Heinz Baginskis Bewusstsein. Jetzt wurde das Grollen auch lauter und kam erschreckend schnell näher. Es rollte regelrecht auf ihn zu. Hinter dem Deich schoss ein erster Blitz aus dem schwarzen Gewölk.
Baginski wartete auf den Donner, der kurz darauf krachend folgte. Noch lagen Blitz und Donner mehrere
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