Leander und die Stille der Koje (German Edition)
heute Nacht gestorben«, meldete Olufs und senkte den Blick. »Dr. Grawe ist bis zehn Uhr dreißig für Sie zu sprechen, falls Sie noch Fragen haben.«
Auch Dieter Bennings wirkte persönlich getroffen, als er Lena in ihrem Büro begrüßte: »Schöne Scheiße. Jetzt werden wir wohl nie etwas über Albertsens Motive erfahren.«
»Vielleicht kann uns dieser Dr. Grawe ja noch etwas Interessantes erzählen«, schlug Lena vor, die noch nicht so recht wusste, wie sie diese Nachricht aufnehmen sollte.
Tom Brodersen stand gegen elf Uhr bei Henning Leander vor der Tür. Sie gingen gleich durch den Hausflur in den Garten und setzten sich auf die Stühle unter den Apfelbäumen. Leander stellte Gläser und Wasser auf den Tisch.
»Also, Tom, was war das, das du uns gestern erzählen wolltest?«
Tom Brodersen erzählte Leander von seinem Toilettenerlebnis im Rathaus. »Verstehst du?«, schloss der Lehrer seinen Bericht. »Das ist doch merkwürdig, dass der jüngere Typ glaubt, die Ermittlungen der Polizei beeinflussen zu können. Und die Rolle der Vogelkoje, in der Rickmers getötet wurde, wird doch auch immer rätselhafter.«
»Und du hast keine Ahnung, wer die beiden gewesen sein könnten?«, hakte Leander nach.
Tom zögerte einen Moment und antwortete dann: »Ich kann mich irren, aber je länger ich darüber nachdenke, umso sicherer bin ich mir, dass der jüngere Typ Maarten Rickmers gewesen sein könnte. Irgendetwas an der hochnäsigen und respektlosen Art, in der der Mann gesprochen hat, erinnert mich stark an ihn.«
»Maarten Rickmers«, überlegte Leander. »Der Bursche läuft mir ein bisschen zu oft über den Weg. Vor allem die Sache mit Steenckes Vorführwagen, von der Lena erzählt hat, geht mir nicht aus dem Kopf.«
»Von was für einem Wagen sprichst du?«, erkundigte sich Tom Brodersen, und Leander erzählte ihm, was der Besitzer des Autohauses als Begründung dafür angegeben hatte, dass Maarten Rickmers’ Geländewagen auf ihn zugelassen war.
»Merkwürdig«, stimmte Tom zu. »Allerdings erklärt das wenigstens, wie sich so ein Bürschchen einen so teuren Geländewagen leisten kann.«
Leander wurde auf einmal klar, dass er gar nicht wusste, von was für einem Fahrzeug eigentlich die Rede war, und fasste deshalb nach: »Sag mal, was ist denn das für ein Geländewagen?«
»Ein silberner Mercedes.«
»Hat der so einen merkwürdigen Aufkleber auf der Heckscheibe?«
»Frei-Wild, genau.«
Henning Leander lachte auf. »Der hätte mich schon zweimal fast über den Haufen gefahren«, erklärte er und berichtete von den beiden Vorfällen.
Tom Brodersen machte einen nachdenklichen Eindruck; schließlich beugte er sich etwas vor und fragte: »Das war an der Borgsumer Vogelkoje, sagst du?«
Henning Leander nickte.
»Das passt. Angenommen, in der Boldixumer Vogelkoje haben Treffen stattgefunden, von denen niemand etwas wissen darf«, erklärte Tom Brodersen. »Dann ist die doch jetzt verbrannt, nachdem Rickmers dort getötet wurde. In dem Toilettengespräch war von einem neuen Treffpunkt die Rede. Da bietet sich die Borgsumer Vogelkoje doch geradezu an. Jedenfalls ist die Gefahr, dort gestört zu werden, denkbar gering. Die ist nämlich nicht mehr in Betrieb. Soweit ich weiß, steht da auch noch so ein Bauwagen, wie ihn Waldarbeiter und die Schutzstation am Deich verwenden. Was spricht also dagegen, dass die geheimen Treffen jetzt vorübergehend dort stattfinden?«
»Stimmt«, bestätigte Leander. »Und dank deines Harndrangs wissen wir auch, wann das nächste Treffen stattfinden wird. Was hältst du davon, wenn wir dann zur Stelle sind?«
»Und Lena?«
»Das ist der wunde Punkt«, gab Leander zu. »Die dreht mir den Hals um, wenn ich ihr nichts davon sage. Und wenn ich ihr etwas sage, dann erst recht. Nach Lage der Ermittlungen deutet alles auf Melf Albertsen als Mörder hin. Es dürfte ihr schwerfallen, einen Zusammenhang zwischen dem Kojentreffen und dem Fall herzustellen; mal ganz abgesehen davon, dass dann alles noch einmal neu aufgerollt werden muss.«
»Wenn das so ist und das Treffen in der Vogelkoje offensichtlich nichts mit Lenas Fall zu tun hat, dann können wir den Ausflug auch als Privatsache betrachten, oder sehe ich das falsch?«
»Ich fürchte, das Gedankenexperiment kann ich Lena kaum vermitteln«, zeigte sich Leander skeptisch. »Dass ich mich gegen ihren Willen in die Ermittlungen einmische, versteht selbst ein Berufsanfänger, und das ist Lena wahrlich nicht.«
»Sie wird es nur
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