Leander und die Stille der Koje (German Edition)
erfahren, wenn wirklich etwas an der Sache ist, denn schließlich sind wir beide nicht in der Lage, nächtliche Festnahmen durchzuführen. Und dann ist es ihr Erfolg. Ich glaube kaum, dass sie dir lange böse sein wird.«
»Da kennst du Lena schlecht. Und ich an ihrer Stelle wäre auch stinksauer, wenn man mich so verarschen würde. Nein, Tom, ich mache bei der Sache mit, aber nur, wenn Lena zustimmt. Ich werde heute Abend mit ihr reden und melde mich dann bei dir.«
»Abgemacht. Ich habe da aber noch einen weiteren Vorschlag, den ich dir gerne unterbreiten würde«, wechselte Tom Brodersen das Thema.
Dr. Grawe war ein junger Arzt, der offenbar erst kürzlich seine Ausbildung abgeschlossen hatte und nun der üblichen Ausbeutung im Gesundheitssystem zum Opfer dargebracht wurde. Er wirkte übermüdet und leicht fahrig. Dunkle Ränder um seine geröteten Augen und die Ausstrahlung einer erloschenen Kerze ließen Lena zweifeln, dass der Arzt tatsächlich ein Berufsleben lang durchhalten konnte. Das Wort Burnout war ihm schon jetzt in die Stirn gebrannt. Er führte die beiden Polizisten in sein Dienstzimmer und bot ihnen Platz an.
»Wir haben getan, was wir konnten«, begann er seinen Bericht, »aber auch die Gerätemedizin kann Tote nicht wieder zum Leben erwecken. Wahrscheinlich ist es sogar ein Glück für den Kollegen Albertsen. Sein Gehirn war über längere Zeit nicht hinreichend mit Sauerstoff versorgt. Die Gefahr, dass er nie wieder ganz hergestellt worden wäre, geschweige denn als Arzt hätte arbeiten können, war sehr groß.«
»Haben Sie an seinem Körper irgendwelche Spuren gefunden, die nicht auf Selbstmord, sondern auf Fremdeinwirkung hinweisen könnten?«, erkundigte sich Lena.
»Nein.« Der Arzt schüttelte entschieden den Kopf. »Außer den Prellungen und Quetschungen um die Hüfte, die zweifelsfrei entstanden sind, als Herr Baginski den Körper hochgehalten hat, finden sich keine Verletzungen oder Blutergüsse am Körper des Toten.«
»Da ist jeder Zweifel ausgeschlossen?«, hakte Dieter Bennings sicherheitshalber nach.
Dr. Grawe war offenbar so ausgelaugt, dass er auch diese Frage nicht persönlich nahm, sondern schlicht und sachlich beantwortete: »Ich bin zwar kein Pathologe, aber ich habe in meiner Ausbildung so viele Leichen obduzieren müssen, dass ich mir da sicher bin. Ihr Gerichtsmediziner, an den ich die Leiche ja bestimmt überführen muss, wird das bestätigen.«
»Kannten Sie Dr. Albertsen persönlich?«, fragte Lena. »Ich meine, als Kollegen?«
»Nein. Wissen Sie, ich bin noch nicht lange auf der Insel. Und seit ich hier an der Klinik arbeite, hatte ich noch keine Zeit, gesellschaftliche Kontakte zu knüpfen. Wenn ich gleich Feierabend habe, habe ich zweiundsiebzig Stunden hinter mir, natürlich inklusive der Bereitschaft, aber da ist ja ständig etwas los. Morgen Vormittag beginnt mein nächster Zweiundsiebzig-Stunden-Dienst. Ich bin also froh, wenn ich gleich ins Bett komme und mich anschließend wenigstens etwas regenerieren kann.«
»Gut, Dr. Grawe, dann wollen wir Sie auch nicht länger von Ihrem Feierabend abhalten. Der Leichnam Dr. Albertsens wird in den nächsten Stunden an die Pathologie in Flensburg überführt werden. Sind die Angehörigen schon informiert?«
»Ja, das haben wir gestern Abend schon gemacht, und heute Morgen haben wir den Tod mitgeteilt.«
»Ist Herr Baginski so weit stabil, dass wir mit ihm sprechen können?«
»Ja, heute geht es ihm schon wesentlich besser. Allerdings steht er noch unter dem Enfluss eines leichten Beruhigungsmittels. Sie finden ihn in Zimmer 317 gleich gegenüber. Kann ich sonst noch etwas für Sie tun?«
»Nein, danke. Sollten wir später noch Fragen haben, werden wir uns mit Ihnen in Verbindung setzen. Jetzt sehen Sie erst mal zu, dass Sie wieder auftanken. Ihre Dienstzeiten sind ja wohl eine Zumutung, sowohl für Sie selbst als auch für die Patienten. Vor dem Hintergrund hoffe ich inständig, sollte ich jemals ins Krankenhaus eingeliefert werden, dass das direkt nach Dienstwechsel passiert.«
»Wem sagen Sie das?«, stimmte Dr. Grawe zu und verabschiedete sich von den beiden Kriminalbeamten.
Heinz Baginski war wenig erfreut, die Polizeibeamten zu sehen. Jedenfalls deutete sein Gesichtsausdruck darauf hin, dass er jetzt lieber seine Ruhe gehabt hätte. Unsicherheit lag in seinen Augen und schwang auch in seiner Stimme mit, als er Lenas Frage nach seinem Befinden beantwortete.
»Wie soll es mir schon gehen? Ich habe
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