Leander und die Stille der Koje (German Edition)
Günter Wiese blickten sie fragend an, so dass Lena ihnen kurz die Auffindesituation in der Vogelkoje schilderte.
»Tarnung«, erklärte Dieter Bennings. »Albertsen hat von Rickmers’ außerehelichen Aktivitäten gewusst und versucht, den Verdacht von sich abzulenken.«
»Und deshalb hat er Rickmers die Hose heruntergezogen?«, zweifelte Anna Wiese. »Unsinn. Das passt überhaupt nicht zu Melf.«
»Zu wem passt so etwas schon?«, beharrte Dieter Bennings. »Die Hose war jedenfalls heruntergezogen. Und wenn Albertsen Wiese erschlagen hat, kann nur er dafür verantwortlich sein.«
»Für mich spricht das eher gegen Ihre Theorie«, brummte Günter Wiese.
»Bleibt noch der Anschlag auf Ole Paulsen«, fuhr Lena fort, ohne darauf einzugehen. »Albertsen fühlte sich nach dem Lösen der Radmuttern ernsthaft bedroht und hat Paulsen dafür verantwortlich gemacht. Aus seiner Sicht war das Notwehr, zumal er ja gesehen hat, dass Paulsen trotz des nachweislichen Angriffs auf Sie, Herr Wiese, unbehelligt geblieben ist.«
»Möglich«, entgegnete Günter Wiese resigniert. »Entschuldigen Sie mich jetzt bitte. Ich muss bei aller Trauer auch darüber nachdenken, wie es mit dem Verein jetzt weitergehen soll.«
»Er kann einfach nicht aus seiner Haut«, erklärte Anna Wiese fatalistisch, als sie die Polizeibeamten zur Tür brachte, und dabei liefen ihr Tränen über die eingefallenen Wangen.
Brar Arfsten trafen sie nicht an, als sie auf seinem Hof nachfragten. Frau Arfsten, die inzwischen offenbar wieder zu Hause wohnte, zuckte nur mit den Schultern und wollte schon wortlos die Haustür wieder schließen. Im letzten Moment schien sie sich zu besinnen und drehte sich noch einmal um.
»Versuchen Sie es mal bei Hilke Rickmers«, sagte sie tonlos. »Da ist er jetzt immer, wenn er nicht hier ist.« Dann schob sie die Tür ins Schloss.
»Manchmal bin ich ganz froh, dass ich nicht zur feineren Gesellschaft gehöre«, stellte Dieter Bennings fest, als sie auf dem Weg zu Hilke Rickmers waren. »Da habe ich lieber gar keinen Lack als einen, bei dem nur Rost zum Vorschein kommt, wenn man daran kratzt.«
Der Kies in der Zufahrt knirschte unter den Rädern. Vor dem Haus standen drei Fahrzeuge: der Mercedes-Geländewagen von Maarten Rickmers, der Range-Rover von Brar Arfsten und ein Mercedes Coupé, das Hilke Rickmers gehören musste.
Lena klingelte an der Haustür. Es dauerte etwas, bis ein Schatten durch die Milchglasscheibe zu erkennen war und ihnen geöffnet wurde.
Hilke Rickmers begrüßte sie mit den Worten: »Ich habe schon gehört, dass der Fall abgeschlossen ist.«
Dann trat sie zur Seite und ließ die Polizisten ins Wohnzimmer vorausgehen. Brar Arfsten saß auf dem Sofa, ihm gegenüber lümmelte sich Maarten Rickmers mit angezogenen Beinen in einen Sessel und machte auch keine Anstalten, sich zu erheben, als er die beiden Kommissare begrüßte. Lena und Dieter Bennings nahmen ebenfalls in Sesseln Platz, Hilke Rickmers setzte sich neben Brar Arfsten.
»Also, Frau Rickmers«, begann Lena, die gar nicht einsah, dass sie den unerzogenen Sohn ebenfalls mit einbeziehen, geschweige denn direkt ansprechen sollte. »Sie haben ja sicher schon gehört, dass Melf Albertsen Selbstmord begangen hat.«
»Heißt das, er ist tot?«, erkundigte sich Brar Arfsten dazwischen.
»Ja, er ist in der vergangenen Nacht gestorben, nachdem er sich gestern auf dem Andelhof erhängt hat.«
»Dieser Wiese hat nur Unglück über die Insel gebracht«, meinte der Landwirt. »Um Albertsen ist es schade.«
»Wir haben in der Scheune von Melf Albertsen die Tatwaffe gefunden, mit der Ihr Mann erschlagen worden ist«, fuhr Lena an Hilke Rickmers gewandt fort. »Außerdem lag da auch noch das Jagdgewehr, das Ole Paulsen aus dem Auto gestohlen wurde und mit dem der Anschlag auf ihn verübt worden ist. Wir gehen jetzt davon aus, dass Albertsen in beiden Fällen der Täter war. Allerdings hat es sich unserer Ansicht nach im Fall Ihres Mannes nicht um einen geplanten Mord gehandelt. Die beiden haben sich vermutlich in der Boldixumer Vogelkoje zu einer Aussprache getroffen. Bei diesem Treffen muss es zu einem unvorhergesehenen Streit gekommen sein, in dessen Folge Melf Albertsen Ihren Mann erschlagen hat. Totschlag also, vielleicht sogar im Affekt, aber das spielt ja nun keine Rolle mehr, da der Täter selbst nicht mehr zur Rechenschaft gezogen werden kann.«
»Warum sollte sich mein Mann denn mit ihm getroffen haben? Nachts, in einer Vogelkoje?«
»Wir
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