Leander und die Stille der Koje (German Edition)
Fall macht den noch fertig, dachte er. Das hält der nicht durch.
In diesem Moment klingelte das Telefon erneut. Olufs hob ab und machte sich noch etwas gerader als bei dem ersten Anruf, denn schon wieder war der Bürgermeister am Telefon, und er schien sich noch nicht wieder beruhigt zu haben.
»Oberkommissar Hinrichs ist momentan … Ach, Hauptkommissar Bennings möchten Sie sprechen. Einen Moment bitte, ich verbinde.« Olufs drückte eine andere Taste und wählte damit ins Nebenzimmer durch. »Herr Hauptkommissar, der Bürgermeister ist für Sie auf Leitung zwei. … Keine Zeit? Aber der Bürgermeister …«
Die Reaktion des Hauptkommissars konnte er auch ohne Telefon durch die geschlossene Tür hören, also drückte er den Bürgermeister wieder in die Leitung, allerdings nun selber mit schlotternden Knien. »Herr Bürgermeister? Hauptkommissar Bennings lässt ausrichten, dass er in einer Besprechung … Ja, er weiß, wer am Telefon ist. … Tut mir leid. … Auf Wiederh…«
Das Letzte, was er hörte, bevor der Hörer am anderen Ende aufgeknallt wurde, war: »Das kann man mit mir nicht machen!«
»Nicht mit mir!«, brüllte Ture Jacobsen und griff sofort wieder zum Telefonhörer. »Das Innenministerium in Kiel. Herrn Staatssekretär Jolmes, aber sofort. Und lassen Sie sich bloß nicht abwimmeln, es ist wichtig!«
Während er wartete, griff er noch einmal nach der Zeitung, las auszugsweise den Artikel, schüttelte den Kopf und warf sie gleich wieder vor sich auf den Tisch.
»Verdammte Scheiße!«, murmelte er. »Inselkrieg auf Föhr!«
Inselkrieg auf Föhr las Leander noch einmal die Schlagzeile. Das war ja unglaublich, was sich da angeblich direkt vor seiner Haustür abspielte. Er trank den letzten Schluck Wasser und winkte der Bedienung, um noch eine weitere Flasche und einen Cappuccino zu bestellen. Da hatten die Leute am Nebentisch gar nicht so unrecht gehabt mit ihrem Urteil über die heile Inselwelt. Er lebte jetzt seit einem halben Jahr hier, aber von einem Inselkrieg hatte er noch nichts gehört, geschweige denn bemerkt. Leander beschloss, Eiken danach zu fragen, wenn er sie das nächste Mal sah. Immerhin hatte er von Brodersen gehört, dass sie inzwischen sogar zur Leiterin der Schutzstation Wattenmeer aufsteigen sollte, nachdem der vorherige Leiter in die Zentrale aufs Festland gewechselt hatte. Wenn die nicht wusste, was da los war, wer dann?
Als er Eiken Jörgensen vor einem halben Jahr kennengelernt hatte, weil sie die Enkelin eines Freundes seines Großvaters war, hatte sie beruflich noch überwiegend in ihrem eisigen Bauwagen am Deich gesessen und den Winter mit Vogelzählungen zugebracht. Jetzt würde sie die Behörde leiten. Bestimmt wusste sie alles über den Naturschutz hier auf der Insel. Außerdem war die Schutzstation in dem Artikel nicht erwähnt worden, also lag die Vermutung nah, dass sie nicht in diesen Kleinkrieg involviert war. Entsprechend würde er von Eiken eine unverstellte Sicht der Dinge bekommen.
Die Bedienung stellte das Wasser und die Tasse Cappuccino vor ihm ab und nahm sein Frühstücksgeschirr mit. Leander lehnte sich wieder zurück und ließ seinen Blick über den inzwischen vollen Strand gleiten. Die grünen, blauen und gelben Rücken der Strandkörbe hoben sich von dem hellbeigen Sand und der spiegelnden See ab und wirkten so lustig verspielt, dass er ins Träumen geriet. Morgen würde Lena auf die Insel kommen und ein paar ruhige Wochen mit ihm verbringen. Bestimmt war sie völlig überarbeitet und brauchte erst einmal ein paar Tage, um zur Ruhe zu finden und sich zu akklimatisieren. Er dachte daran, wie hektisch sein früherer Beruf inzwischen geworden war. Was waren das noch für Zeiten gewesen, als es noch kein Internet gegeben hatte und die internationale Kriminalität dem Tempo des Postweges unterworfen gewesen war. Da hatte man auch als Kriminaler noch im Büro sitzen und in anderen zeitlichen Dimensionen denken können. Der Stress heutzutage war damit überhaupt nicht mehr zu vergleichen.
So ein Mordfall, zum Beispiel, der war seinerzeit noch mit intensiven Befragungen, Verhören und Außenterminen gelöst worden. Klar, es hatte früher auch noch keine DNA-Analysen gegeben und keine Datenbanken, die man nach Übereinstimmungen von entsprechenden Spuren elektronisch abgleichen konnte. Die Aufklärungsquote war auch nicht die von heute gewesen, aber irgendwie hatte man sich damals als Polizist weniger getrieben gefühlt. Auch die Medien hatten ein
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