Leander und die Stille der Koje (German Edition)
sich davor und an der Seite zum Panoramafenster des Wellenbades. Gerade wurde ein Tisch neben dem Eingang frei, was großes Glück war, denn heute waren nicht nur alle Plätze draußen, sondern auch im Café besetzt. Leander setzte sich und zog die dünne Speisekarte heran. Er entschied sich für ein kleines Frühstück, bestellte Cappuccino und Mineralwasser dazu und lehnte sich genüsslich in den bequemen Kunstledersessel. Vor sich erblickte er den schmalen Strandstreifen mit drei Reihen Strandkörben und direkt dahinter und etwas abfallend die spiegelglatte Fläche des Wattenmeeres – es war Hochwasser. Nahezu alle Strandkörbe waren besetzt. Kinder spielten im Sand oder sprangen ins wellenlose Meer, ihre Eltern genossen mit einem Buch in der Hand die Sonne aus dem ungetrübten blauen Himmel oder sahen ihren Sprösslingen beim Spielen zu. So stellten sich Nordseeurlauber die wenigen Tage des Jahres vor, die sie an der See verbrachten.
Leander beschloss, am Samstag ebenfalls einen Strandkorb zu mieten, falls das Wetter weiterhin so schön bleiben sollte. Bestimmt hatte Lena nichts dagegen, ein paar ruhige Tage am Strand zu verbringen und Spaziergänge entlang des Spülsaums zu unternehmen.
Die Bedienung brachte das Frühstück: zwei Brötchen, Käse und Marmelade, eine Tasse Cappuccino und eine kleine Flasche Mineralwasser.
»Das will man gar nicht glauben«, hörte er eine Frauenstimme vom Nebentisch her, als er sich sein erstes Brötchen schmierte. »So eine romantische Insel und dann ein Mord. Und diese Geschichte über den Inselkrieg! Hättest du gedacht, dass hier so ein Krieg herrscht? Wenn man durch die Marsch radelt, merkt man doch nichts davon.«
Leander blickte unauffällig hinüber und sah ein älteres Ehepaar, das sich gemeinschaftlich über die Tageszeitung beugte.
»Das ist hier wie überall«, antwortete der Mann. »Du guckst den Leuten nur vor den Kopf. Und diese Idylle ist reine Show, damit man uns unser Geld aus der Tasche ziehen kann.«
»Was haben die Bauern bloß gegen den Umweltschutz?«, begann die Frau erneut. »Die leben doch von der heilen Natur. Außerdem würde hier doch sonst kein Mensch Urlaub machen. Der Strand ist schließlich nicht so toll, da ist es am Darß ja wohl viel schöner. Was meinst du, sollen wir nächstes Jahr nicht mal wieder nach Ahrenshoop fahren?«
»Von mir aus. Da kann man wenigstens vernünftig schwimmen. Und wenn die sich jetzt hier auch noch gegenseitig umbringen …«
Dann lehnten sich die beiden synchron zurück und blickten über den Strand. So sah es aus, wenn man damit zufrieden war, andere Leute beobachten zu können. Gut, dachte Leander, dass Lena nicht so drauf ist.
Allerdings hatte ihn der Dialog neugierig gemacht. Von was für einem Krieg hatten die gesprochen? Und weshalb sollten die Inselbauern gegen den Umweltschutz sein? Er faltete seine Zeitung auseinander und betrachtete das Foto unter der Schlagzeile Mord in der Vogelkoje – Hobbyfotograf entdeckt Leiche . Wie er aus dem Text erfuhr, hatte dieser Heinz B. aus Bottrop in der vorletzten Nacht den Vorsitzenden der Jägerschaft Nahmen Rickmers tot in der Boldixumer Vogelkoje gefunden. Das war Leander nicht neu, schließlich hatte er bereits am Vorabend im Kleinen Versteck davon gehört. Was aber trieb denn ein Urlauber aus Bottrop nachts in der Vogelkoje? Die war doch außerhalb der kurzen Öffnungszeit am Vormittag fest verriegelt. Leander las weiter. Der Typ hatte sich heimlich über den Zaun da eingeschlichen und war prompt über eine Leiche gestolpert. Die Täter hatten ihn noch dazu umgerannt, aber erkannt hatte er niemanden – so ein Trottel! Und die Polizei tappte bislang völlig im Dunkeln. Hauptkommissar Bennings aus Flensburg – »Sieh an, der Bennings ist wieder hier und bestimmt auch sein Wadenbeißer Dernau«, murmelte Leander – und sein Kollege Dernau – »Na, bitte, sag ich doch!« – hatten keine Spur und waren gänzlich auf die örtlichen Behörden angewiesen, wie Oberkommissar Hinrichs der Zeitung berichtet hatte.
Leander stutzte und las noch einmal, was da stand: Wie der Leiter der örtlichen Polizeidienststelle, Oberkommissar Hinrichs, dieser Zeitung sagte, sind die leitenden Beamten aus Flensburg …
»… angesichts der undurchsichtigen Gemengelage und der Besonderheiten dieser Insel völlig überfordert. Dieser Idiot! Hinrichs!«, brüllte Bennings. »Sofort herkommen!«
Die Tür zu seinem Büro öffnete sich, und Oberkommissar Hinrichs schob sich betont
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