Leander und die Stille der Koje (German Edition)
haben, haben sie dem Pastor mit kollektivem Kirchenaustritt gedroht, wenn er das Geschäft nicht mit all seiner Amtsautorität verhindert. Sie sehen, es gibt auch wirklich witzige Ereignisse in unserem Kampf.«
»Und wie haben die drei Landwirte darauf reagiert?«
»Einer der Ketzer hat dem Vorsitzenden der Oevenumer Jagdgenossenschaft zu Weihnachten einen Gebetsteppich und einen Koran geschenkt, damit er nach dem Kirchenaustritt nicht ganz ohne Religion leben muss.« Wiese lachte und schüttelte den Kopf dabei. »Manchmal haben die wirklich Humor. Haben Sie schon von unserer Totenkopfkuh gehört? Nein? Eines Morgens habe ich meinen Augen nicht getraut, als ich eine unserer neuen Flächen kontrolliert habe. Da stand tatsächlich eine unserer Kühe mitten auf der Weide und war auf der einen Seite mit einem riesigen Totenkopf bemalt worden. Auf der anderen Seite stand aufgesprüht Kein Land für Elmeere! Sagen Sie selbst: Die sind doch nicht ganz dicht, diese Bauerndeppen. Sie können das Bild und den Zeitungsartikel noch im Internet finden. Und wenn Sie bei Youtube das Suchwort ›Quo Vadis, Föhr?‹ eingeben, finden Sie einen Film über die angeschossenen Tiere, die ich aus unseren Flächen gesammelt habe. Dann werden Sie verstehen, warum ich das alles hier mache und nicht aufgebe.«
Er startete den Wagen und fuhr langsam weiter, bis er wieder auf die Asphaltstraße stieß. Dort bog er nach links in Richtung Oldsum ab und nahm schnell Fahrt auf.
Melf Albertsen war ein hochaufgeschossener Mittdreißiger mit blonder Naturlocke und einem markant eckigen Kopf, dessen dunkle Augenränder in absolutem Gegensatz zu seinem weißen Kittel und der klinischen Ausstrahlung seiner modernen Praxis standen. Er blickte Lena und Dieter Bennings erwartungsvoll an, als sie von seiner Sprechstundenhilfe hereingeführt wurden. Dabei strahlte er die Offenheit des Kurarztes aus, der davon lebte, Urlaubsgäste mit Anwendungsrezepten zu versorgen und nicht allzu sehr in die Tiefe ihrer Wehwehchen eindringen zu müssen. Als sich die beiden Kriminalbeamten jedoch vorstellten, fiel die selbstbewusste Fassade augenblicklich in sich zusammen, und Albertsen konnte weder ein Lidzucken noch die fahrigen Bewegungen seiner Hände unter Kontrolle bringen.
»Ich habe in letzter Zeit etwas wenig geschlafen«, entschuldigte er sich, da er die aufmerksamen Blicke der Kriminalbeamten sehr wohl wahrnahm. »Ist halt alles etwas viel zurzeit.«
»Herr Dr. Albertsen, Sie wissen, weshalb wir hier sind«, eröffnete Lena das Gespräch.
Die beiden Kommissare nahmen auf ein Handzeichen des Arztes hin auf zwei Stühlen vor dem Schreibtisch Platz. Melf Albertsen setzte sich auf seinen Drehstuhl und verkrampfte die Hände auf der Tischplatte, so dass die Knöchelchen weiß hervor traten. Sein Gesicht wirkte eingefallen und verkniffen. Wäre er nicht noch zu jung dazu gewesen, hätte Lena auf Burnout getippt.
»Nahmen Rickmers«, antwortete er. »Natürlich habe ich davon gehört. Es war wohl nur eine Frage der Zeit, bis Sie auch zu mir kamen.«
»Das hört sich an, als wollten Sie ein Geständnis ablegen«, ging Bennings halb flachsend auf die merkwürdige Formulierung ein, beobachtete aber hellwach jede Regung im Gesicht des Arztes.
»Geständnis? Ich? Wieso?«
»Sie wirken sehr nervös, Herr Dr. Albertsen«, erklärte Bennings. »Weshalb, wenn ich fragen darf?«
»Ich sagte ja, es war alles ein bisschen viel in letzter Zeit.«
»Können Sie bitte deutlicher werden?«, erhöhte Lena den Druck.
»Nun ja, wie Sie wissen, bin ich nicht nur Arzt hier in Utersum, sondern auch der zweite Vorsitzende des Vereins Elmeere . Diese Position hat Sie ja wohl zu mir geführt. Die Arbeit ist wichtig, verstehen Sie mich da nicht falsch, aber als ich damit angefangen habe, habe ich nicht im Traum geahnt, welch eine Belastung sie auch sein kann.«
»Belastung inwiefern?«, hakte Lena nach.
»Der Verein hat auf der Insel sehr wenige Freunde, dafür aber umso mehr Feinde. Wir betreiben eine Art von Naturschutz, die die traditionellen Bereiche der Selbstversorgung hier berührt. Die Fehringer sind stolz darauf, in wesentlichen Teilen autonom zu sein. Das stammt noch aus einer Zeit, als das Leben auf einer Nordseeinsel hart und voller Entbehrungen war und man nicht mit Unterstützung vom Festland rechnen konnte.«
»Und Sie bedrohen diesen Hang zur Autonomie?«, erkundigte sich Bennings.
»So sehen es die Insulaner, ja. Wir fördern genau die Tiere, die die Bauern und
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