Leander und die Stille der Koje (German Edition)
und einem merkwürdigen Kasten mit Schlitz. »Alles wieder zerstört«, schimpfte er. »Gestern war ich hier und habe die Infotafeln repariert, heute sind sie schon wieder kaputt. Ich sage Ihnen, dass wir beide hier sind, weiß in einer Stunde die ganze Insel, auch wenn Sie rundherum niemanden sehen. Was ich jetzt repariere, wird nachher, wenn wir weg sind, wieder kaputtgemacht. Ich stehe unter ständiger Beobachtung und Überwachung. Manchmal denke ich, die haben ihr Know-how von der Stasi, ehrlich.«
Während Leander darüber nachdachte, ob es sich bei Wieses Wahrnehmung nicht auch um eine ausgewachsene Paranoia handeln konnte, öffnete der den Kofferraum seines Transporters und entnahm ihm eine Kiste mit Werkzeug. Dann suchte er das hohe Gras am Rande der Fläche ab und zog schließlich eine weiße Infotafel daraus hervor, die etwas ramponiert aussah.
»Glück gehabt«, urteilte Wiese. »Die kann ich wieder anbringen. Meistens sind sie kaputt.«
Er entnahm seiner Kiste eine Kartusche mit schwarzem Silikon und klebte damit die Tafel auf die Metallplatte am Pfosten. Dann überprüfte er die Metallkiste mit dem Schlitz, öffnete ein Bügelschloss, das daran befestigt war, und schob den vorderen Teil hoch. Nur mühsam ließ er sich bewegen.
»Der Spendenpfahl ist total verbogen«, stellte er fest und untersuchte ihn genauer. »Hier können Sie sehen, dass jemand mit dem Auto davorgefahren ist. Jetzt sagen Sie mir mal, wer das hier zufällig machen sollte, weitab von der eigentlichen Fahrstraße. Das kann nur Absicht gewesen sein. Kein Wunder, dass die Spendenbox leer ist, wenn sich keine Information daran befindet.«
»Können Sie für die paar Spenden-Euros überhaupt Land kaufen?«, erkundigte sich Leander, um Eikens Angaben über die Spendenverwendung zu überprüfen. »Ich meine, das kostet doch sicher alles einen Haufen Geld: die Maschinen und Arbeitsstunden, die jahrelange Organisation des Vereins, bis so eine Fläche renaturiert ist, diese Rundfahrten. Da bleibt von den Spenden doch sicher kaum etwas übrig, um davon Ackerland aufzukaufen.«
»Nee nee«, widersprach Wiese entschieden. »Die Geldspenden gehen zu hundert Prozent in den Landkauf. Das schreibt uns schon unsere Satzung vor. Auch, dass siebzig Prozent der Mitgliedsbeiträge in den Landkauf gehen müssen. Nur die übrigen dreißig Prozent stehen uns für dringende Ausgaben zur Verfügung. Alles andere bestreiten wir durch unentgeltliche Arbeit und Sachspenden. Wenn Sie uns hundert Euro geben, garantiere ich Ihnen, dass wir für hundert Euro Land kaufen und renaturieren. Darauf können sich unsere Spender verlassen.«
Er schob die Kiste wieder zu und verschloss sie. »Morgen ist das Schild wieder weg, jede Wette«, unkte er und wollte sich schon umdrehen, als er stutzte und neben dem Spendenpfahl ins Schilf fasste. Er zog einen toten Austernfischer aus dem hohen Gras und hielt ihn vor sich in die Luft. »Schweine«, fluchte er.
»Sie glauben, jemand hat das Tier hier getötet?«, fragte Leander skeptisch.
»Nein, das nicht, jedenfalls nicht mit Absicht. Der Schnabel ist zerbrochen, der Kopf blutig, das sieht eher nach einem Verkehrsunfall aus. Der Vogel ist vor eine Windschutzscheibe geflogen. Aber dass er nicht vorne an der Straße, sondern hier neben meinem Schild liegt, das ist kein Zufall. So läuft hier die Kommunikation. Die wissen, dass sie mich damit treffen können.«
Wiese warf den toten Vogel weit ins hohe Schilf und packte sein Werkzeug wieder in den Kofferraum. Dann stieg er zurück in den Wagen und wartete, bis Leander eingestiegen war.
»Von hier bis da hinten zum Deich gehört das Land komplett Elmeere «, setzte er seinen Vortrag fort. »Wir haben durch Landtausch mit einigen Bauern die Flächen zusammenlegen können. Da haben beide Seiten etwas davon. Auf das letzte Stück neben dem Wäldchen haben wir eine Option. Sobald das Geld dafür zusammen ist, werden wir das Land kaufen und bekommen damit die direkte Anbindung an den Deich.«
»Und da machen die Bauern einfach so mit?«, wunderte sich Leander. »Ich meine, bei dem Landtausch?«
»Einfach so geht hier gar nichts. Allerdings machen wir langsam Fortschritte. In Oevenum zum Beispiel planen wir einen Landtausch, um die Konfliktlinien zu verkürzen. Drei der Landwirte, die eingesehen haben, dass sie auch einen Vorteil davon haben, wenn sie das Land tauschen, sind Mitglieder im Nieblumer Kirchenvorstand. Als die Jäger der Oevenumer Jagdgenossenschaft das mitbekommen
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