Leandra - Die Amazonenprinzessin (German Edition)
rückte die junge Frau wieder näher, ergriff seine Hand und schaute ihm ins Gesicht. Sie liebte die freundlichen Falten um die trüben Augen, das silberne Haar und den langen Bart. Es konnte nicht sein, dass dieser freundliche Mann bald sterben sollte.
„Wenn ich nicht mehr bin, wird es keinen geben, der dich bestärkt, dein Schicksal zu suchen.“
„Bist du dir sicher, dass du-?“
„Ja.“
„Wann?“, fragte Leandra leise.
„Ich kenne den Tag, aber ich werde ihn dir nicht sagen.“
„Wenn du weißt, an welcher Krankheit du erkranken wirst, können wir nach einem Heiler schicken!“
„Ich werde nicht eines natürlichen Todes sterben.“
„Was?“ Sie konnte sich nicht vorstellen, wer dem Seher Böses wollte. „Meine Mutter wird dir Wachen zur Verfügung stellen.“
„Ich kann dem Tod nicht entfliehen. Leandra, du weißt, dass ich keine eigenen Kinder habe, und du bist wie eine Tochter für mich.“
Seine Worte verwirrten die Amazonenprinzessin, und sie erinnerte sich, dass Enos ihr vor vielen Jahren übers Haar gestrichen und sie kleine Prinzessin genannt hatte. Als Königin Neria davon erfuhr, hatte sie den Seher auspeitschen lassen, dennoch konnte sie nicht verhindern, dass sich Enos und Leandra näherkamen.
„Was soll ich tun?“
„Versuch nicht mehr etwas zu sein, das du nicht bist. Geh zu deiner Mutter und spreche mit ihr.“
Leandra schwieg lange, und auch Enos sagte nichts, weil sie die Entscheidung alleine fällen musste. Nur das Blut eines Feindes würde sie zur Amazone machen. Die Prinzessin stellte sich vor, wie Blut ihre Hände rot färbte, und ihr wurde übel. Nicht nur Angst fühlte sie, sondern das Wissen, dass die Tat falsch wäre. Ich werde es nicht tun, auch wenn die anderen Amazonen mich verspotten, selbst wenn meine Mutter ... Nein, noch nicht einmal in Gedanken konnte Leandra den Satz beenden. Eine verbannte Amazone musste Tehuna verlassen und durfte nie wieder zurückkehren, während man einer verstoßenen Amazone sogar eine Jägerin hinterher schickte.
„Enos, hast du nicht den Wunsch-“
Er lächelte.
„Ich werde nie wieder durch die Wälder meiner Heimat gehen, doch sie sind in meinen Herzen.“
So will ich es auch halten, wenn es dazu kommt , dachte Leandra und erhob sich.
„Du hast Recht, Enos.“
„Nein, es geht darum, was du willst.“
Sie nickte.
„Viel Glück“, sagte Enos.
„Danke, das werde ich gebrauchen können.“
Leandra verließ den Seher und ging den Gang entlang, der zu den Gemächern ihrer Mutter führte. An der Tür wachte Atima.
„Prinzessin Leandra?“, fragte die blonde Amazone verwundert. „Warum seid Ihr hier?“
„Ich möchte mit meiner Mutter sprechen.“
„Es ist mitten in der Nacht, Prinzessin.“
„Ich weiß.“
Die Amazone sah ihr in die Augen.
„Gut, wahrscheinlich wäre Königin Neria wütender, wenn sie erst morgen erfährt, dass Ihr den Tempel verlassen habt. Ich werde sie wecken. Bitte wartet in ihrem Arbeitszimmer auf sie.“
Dankbar nickte Leandra und nahm eine Fackel herunter, um sie im Arbeitszimmer aufzuhängen, das nur zwei Räume vom Schlafgemach entfernt war. Leandra rechnete damit, dass ihre Mutter gleich hereinstürmte, aber es vergingen Minuten, ohne das etwas geschah. Ungeduldig starrte sie auf die Tür, und endlich wurde sie aufgestoßen. Die Königin trat ein, und Licht schimmerte auf ihrer leichten Rüstung. Sie ist durch und durch Amazone , dachte Leandra.
„Es ist also kein Traum“, sagte Neria. „Leandra, ich hoffe, du hast einen guten Grund für dieses Verhalten.“
Die junge Frau fühlte, wie der Mut sie verließ, doch plötzlich hatte Leandra das Gefühl, die Stimme des Sehers hinter sich sagen zu hören: „Die Götter bestimmen das Schicksal der Menschen, und es die Pflicht eines jeden, sein eigenes zu finden.“
„Leandra“, Nerias Stimme klang ungeduldig, „ich warte auf eine Erklärung.“
Schau sie an , dachte Leandra und lenkte ihren Blick von der glitzernden Rüstung zu den grünen Augen ihrer Mutter. Augen wie die der Göttin Isen - stolz und befehlend, manchmal gnadenlos.
„Ich will keine Kriegerin sein.“
Die Pupillen weiteten sich, dann begannen sie, zornig zu funkeln.
„Was hast du gerade gesagt?“
„Ich will keine Kriegerin sein“, wiederholte Leandra.
Königin Nerias Augen wurden ganz schmal.
„Ich werde vergessen, was du gesagt hast, und du wirst zum Tempel gehen und die Hohepriesterin um eine Strafe für deinen Regelbruch bitten. Auf der Stelle!“
Einen Moment wollte sie gehorchen,
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