Leandra - Die Amazonenprinzessin (German Edition)
sagte: „Der Ast wirkt sehr kräftig, dennoch sollten wir nach Gewicht springen. Also geht Leandra als Erstes, Timor als Zweites und danach komme ich.“
Damit waren alle einverstanden, und nachdem Leandra gesprungen und auf einen anderen Ast geklettert war, folgte Timor und schließlich sein Vater. Vorsichtig kletterten die drei Menschen hinab.
Als sie den Abstieg endlich hinter sich hatten, sah sein Vater sich um, und Sorge zeichnete sich auf seinen Zügen ab.
„Was ist los?“, wollte Timor wissen.
„Ich fürchte, wir sind sehr weit nach Norden abgekommen.“
„Du meinst, wir sind in der Nähe des Landes der Roten Nebel?“
„Das wäre möglich.“
Leandra blickte kurz zum Himmel auf und sagte: „Lasst uns die restliche Zeit bis zum Sonnenuntergang nutzen und weitergehen.“
Sie folgten der Schlucht nach Nordwesten, und während Adain ihnen etwas erzählte, wanderte Timors Blick immer wieder zu Leandra. Einmal bemerkte sie es und lächelte ihn an.
„Glaube nicht, dass du sehr viel besser aussiehst.“
In der Tat sahen sie alle staubig und heruntergekommen aus, sodass man sie in einer Stadt als Lumpenpack davongejagt hätte. Trotzdem war das nicht der Grund, weshalb er Leandra angeschaut hatte. Ihm war erst jetzt aufgefallen, dass ihre Augen wunderschön waren. Noch nie hatte er Saphire gesehen, aber Timor glaubte, dass sie nicht schöner sein konnten. Er suchte nach einem Vergleich. Leandras Augen waren dunkelblau, dunkler als der Himmel über ihnen. Vielleicht konnte man ihre Farbe am ehesten mit dem Sternenhimmel vergleichen, wenn die Nacht besonders klar war und die Sterne hell leuchteten.
„Was ist los, Timor?“, fragte Adain ihn leise, und er zuckte zusammen.
Rasch antwortete er: „Nichts.“
„Nichts?“ Sein Vater hob die Augenbrauen und lächelte breit. „Jetzt ist mir alles klar.“
Verwirrt blickte Timor ihn an und dachte darüber nach, was sein Vater damit gemeint haben konnte. Als die Sonne den Himmel golden färbte, suchten sie sich einen Lagerplatz, und Timor übernahm die erste Wache.
Am nächsten Morgen kamen die Ereignisse der vergangenen Tage Leandra vor wie ein böser Traum, dennoch hatte sie sich durch Tarons Verschlag verändert. Sie brauchte nur an dunkle, enge Orte zu denken, und schon schnürte sich ihre Kehle zu. Wahrscheinlich hätte sie in der Trollfestung den Verstand verloren. Nach dem Frühstück zogen die drei Gefährten weiter. Die Schlucht führte sie weiter nach Westen und endete in einem bewaldeten Tal.
„Hört ihr das?“ Leandra blieb stehen, um zu lauschen. Eine Berglerche trällerte ihr Lied, und im Hintergrund murmelte leise eine Quelle.
„Wunderbar“, sagte Adain. „Unser Wasservorrat ist fast erschöpft.“
„Und es wird Zeit, dass wir uns waschen.“
Adain, Timor und Leandra folgten dem Murmeln, doch kaum erblickten sie die Quelle, wichen sie hinter die Bäume zurück. Am Ufer saß eine schwarzhaarige Frauengestalt, so durchsichtig wie die Trollgeister. Sie versuchte ihre blutverschmierten Hände zu reinigen. So sehr sie auch rieb, sie wurden nicht sauber. Verzweifelt schlug der Geist die Hände vors Gesicht, und das Schluchzen hätte Steine erweichen können.
„Ein Gespenst am helllichten Tag“, flüsterte Timor. „Was machen wir jetzt?“
Die Gestalt trug weder Schwert noch Schild, an ihrer Rüstung jedoch erkannte Leandra, dass sie einmal eine Amazone gewesen war. Die Prinzessin wollte ihre Deckung verlassen, und Adain ergriff ihr Handgelenk.
„Was hast du vor?“
„Schau sie an, sie ist eine Amazone“, sagte Leandra. „Mir wird sie nichts tun.“
Zögernd ließ der Jäger sie los, und Leandra ging zu dem weinenden Geist und kniete sich neben ihm.
„Schwester, was hält dich in dieser Welt?“
Die Amazone hob den Kopf und sah sie mit einer Mischung aus Überraschung und Hoffnung an.
„Bist du wirklich da?“
Angesichts dieser Frage musste Leandra lächeln. Ein Geist wollte von ihr wissen, ob sie eine Erscheinung war.
„Ja, warum bist du noch hier?“
Die Amazone senkte den Blick.
„Ich kann dir nicht erzählen, warum mir der Weg ins Totenreich verweigert wird.“
Obwohl Leandra ihr gerne geholfen hätte, konnte sie die Tote gut verstehen. Auch sie würde nicht einer fremden Amazone ihr dunkelstes Geheimnis anvertrauen. Nun musste sie feststellen, ob es gefährlich war, von dem Wasser zu trinken.
„Ist es deine Aufgabe, die Quelle zu bewachen?“
„Nein, gelegentlich hoffe ich, das Wasser könne mich reinigen. Trink nur.“
Nach diesen
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