Leb wohl, Schlaraffenland: Die Kunst des Weglassens (German Edition)
den Himmel kommen. Dieser ist nicht gewiss. Das Leben aber ist es schon. Jetzt, im Moment, leben wir beide und sterben gerade nicht.
Was wissen wir schon darüber hinaus? Wenn du das Leben in meinem Garten ansiehst, die vielen Lebewesen, die es da gibt, die Ameisen, die Schmetterlinge, die Regenwürmer, sogar die Nacktschnecken, mit denen ich inzwischen Frieden geschlossen habe –, was wissen sie vom Leben? Nichts? Alles? All das Leben um uns lebt ganz einfach und macht sich keine Gedanken über das Leben.
Es ist so faszinierend, was zum Beispiel Ameisen alles schaffen: diese Emsigkeit, diese Kraft, die sie haben, dieses zielgerichtete Agieren. All das ist unfassbar und dennoch stellt sich keine Ameise dumme Fragen wie: „Werde ich nicht vielleicht nach meinem Tod einmal ein Mensch sein?“ So etwas ist kein Thema für sie. Ichglaube, wir stellen uns viel zu viele Fragen. Über sich selbst und das eigene Sein nachdenken zu können ist Fluch und Segen zugleich.
Clemens G. Arvay: Gleichzeitig birgt unsere Fähigkeit, zu reflektieren, Fragen zu stellen und nach Antworten zu suchen, auch großes Potenzial. Ich glaube nicht, dass man die große Menschheitsfrage „Warum gibt es etwas und nicht nichts?“ jemals so einfach ausschalten können wird. Diese Frage übt zu große Faszination auf uns aus. Alleine die Vorstellung, dass sich da irgendwann einmal in früher Erdgeschichte in einer „Ursuppe“ Zellen gebildet haben, dass darin ein genetischer Code entstanden ist, ist beeindruckend. Die Evolutionstheorie ist sehr glaubwürdig und Evolution hat stattgefunden und findet weiterhin statt. Doch obwohl wir heute eine Vorstellung davon haben, wie sich die Lebewesen im Laufe der Erdgeschichte weiterentwickelt haben und wie neue Spezies entstanden sind, ist und bleibt es ein großes Mysterium, wie es überhaupt zu dem Prinzip des Lebens gekommen ist. Dass es einen Prozess gibt, den wir als Evolution erkennen können und der zur fortwährenden Anpassung von Lebewesen an ihre Umwelt führt, ist fantastisch. Als Biologe komme ich aus dem Staunen eigentlich gar nicht mehr heraus. Je mehr ich über das Leben erfahre, desto stärker drängt sich mir die Frage auf, woher das alles eigentlich kommen mag.
Roland Düringer: Ich verstehe dich gut. Das Leben ist eben absolut unbegreiflich. Sich in der Nacht auf die Wiese zu legen und in den Sternenhimmel zu blicken offenbart uns etwas Unvorstellbares, zumal wir wissen, dass wir nur einen ganz kleinen Teil von dem, was dort oben ist, sehen können. Wir haben aber eine ungefähre Vorstellung davon, welche Dimensionen das Universum haben muss und umso unbegreiflicher wird es uns dadurch.
Die Menschen haben sich bestimmt schon vor abertausend Jahren, wenn sie in den Himmel blickten und den Mond und die Sterne ansahen, dieselben Fragen gestellt, die wir heute stellen. Sie hatten bloß etwas andere Vorstellungen davon. Vielleicht stellten Sonne, Mond und Sterne Gottheiten für sie dar, und vom Himmelszelt befürchteten sie, dass es eines Tages auf sie herunterfallen könnte. Heute wissen wir viel mehr, haben viele Erklärungen gefunden. Aber all diese wissenschaftlichen Erklärungen der Welt sind eben nur die Erklärung der Welt und nicht die Welt selbst. Zu glauben, unsere heutigen Erklärungen der Phänomene seien die Welt, so wie sie ist, erscheint mir als naiv. Es steht in den Sternen, welchen Wissenstand wir in ein paar hundert Jahren haben werden, und wie lächerlich dann die heutigen Erkenntnisse sein werden. Wir können uns einiges erklären, wissen aber noch immer nicht, was Leben ist. Welcher Wissenschaftler kann das schon beantworten?
Je mehr wir wissen, desto mehr Fragen tauchen auf. Alles wird immer komplizierter und der sogenannte „normale“ Mensch, der keine Wissenschaft betreibt, um die Phänomene zu hinterfragen, wird mit immer mehr Wissen konfrontiert, das er nicht überblicken kann und das ihn überfordert. Es handelt sich aber um Wissen, das im Grunde keinen Einfluss auf unser Leben hat, außer, dass dadurch unsere Gehirne beschäftigt werden. Wenn du früher in irgendeinem Tal Bauer warst, dann waren die Dinge, die du für dein tägliches Leben wissen musstest, relativ klar abgesteckt. Was in der Antarktis passierte oder in Honolulu, war für einen Bergbauern vor 200 Jahren vollkommen bedeutungslos, weil er weder davon wusste noch das Wissen darüber benötigte. Dafür konnte er die Wetterphänomene in seinem Tal gut einschätzen und diesbezüglich
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