Leb wohl, Schlaraffenland: Die Kunst des Weglassens (German Edition)
Diagnose, bei der plötzlich der Tod vor ihnen steht, legt sich oft ein Schalter um, und sie denken auf einmal anders. Manche verändern sich und beginnen, den Rest ihres Lebens mit Sinn zu erfüllen. Sie verändern sich nicht nur, sie werden sogar zu jemand ganz „anderem“. Sie begehen dann nicht die Dummheiten, die wir jeden Tag begehen. Sie tun vielleicht andere Dinge. Wenn man sich des Ablaufdatums einer Sache bewusst ist, erhält diese einen viel höheren Wert. Unsere Lebensgeschichte hat ein Ablaufdatum. Es ist so. Und das ist kein Nachgeplappere, sondern Gewissheit. (lacht)
Clemens G. Arvay: Es macht bestimmt auch einen großen Unterschied, ob man am Ende des Lebens zurückblickt und zu dem Schluss kommt, die Dinge verwirklicht zu haben, die man verwirklichen wollte, oder ob man zurückblickt und über lauter vergebene Chancen und Möglichkeiten trauert.
Roland Düringer: Ich glaube, es ist viel wichtiger, sich die Frage zu stellen: „Habe ich dem Leben gedient oder habe ich Schaden angerichtet?“ Nicht: „Was habe ich geschafft, was habe ich alles bewerkstelligt, wie viele Medaillen habe ich gewonnen?“
Clemens G. Arvay: Ich meinte keinesfalls eine Verwirklichung im materiellen Sinne oder eine, bei der es um Ansehen geht. So etwas führt auf dem Sterbebett bestimmt nicht zu einem sehr befriedigenden Lebensrückblick. Ich meinte eher den Umgang mit anderen Menschen – auch mit Tieren –, mit Beziehungen, das Miteinander.
Wenn es dein Lebenszweck ist, dem Leben zu dienen, du aber am Ende feststellen musst, den Zweck verfehlt zu haben, dann ist es ein anderes Sterben, als wenn du feststellen kannst, deinem Herz gefolgt zu sein.
Roland Düringer: Ich stimme dir völlig zu. Somit sind wir auch schon beim Thema „loslassen können“. Es fällt uns schwer, Dinge loszulassen. Wir schleppen alle so viel mit uns mit: einen ganzen Rucksack voll mit Dingen, die zum Teil Unrat sind und die wir uns anhäufen – seien es materielle Dinge oder seien es irgendwelche Ideologien, irgendwelche Glaubenssätze und Wertvorstellungen, an denen wir festhalten. Es können auch Verurteilungen sein, Beurteilungen, Bewertungen, die wir im Kopf haben. Diese tragen wir mit uns herum und sind nicht in der Lage, sie loszulassen.
Es ist etwas sehr Wichtiges, sich einfach die Freiheit zu nehmen, manchmal loszulassen, andere Menschen auch gehen zu lassen, die Vergangenheit abzuschließen. Wir sollten weniger an Dingen oder an Menschen hängen. In dem Moment, in dem du loslässt, hast du wieder Platz für Neues. Wer im Leben das Loslassen nicht lernt, wird vermutlich auch keinen „schönen“ Tod haben, wenn es eines Tages darum geht, das Leben selbst loszulassen.
Wenn du mich jetzt fragst, was ich persönlich glaube, ob es nicht die Möglichkeit gibt, dass nach dem Tod doch noch etwas kommt außer dem Nichts, dann sage ich: Möglicherweise übersteht unser Bewusstsein den Tod und nimmt irgendeine andere Form an. Wenn man das Bewusstsein als Energie begreift, ist das durchaus vorstellbar, da Energie in diesem Universum nicht verloren geht, sondern sich wandelt. Möglicherweise kommt aber auch wirklich nichts und es ist wie ein Filmriss.
Ich glaube, das Schlimmste, das einem passieren kann, ist, wenn man sich in der Stunde des Todes Sorgen darüber machen muss, ob es nun „nach oben“ oder „nach unten“ geht, nur weil man den Wahnsinn im Kopf stecken hat, der sich „Himmel und Hölle“ nennt, und man sich fragen muss: „Habe ich wohl alles richtig gemacht? Was wartet jetzt auf mich? Ist es das Paradies oder die Hölle?“ Es muss schrecklich sein, solche Dinge im Angesicht desTodes im Kopf zu haben, weil man dann mit furchtbarer Angst oder mit großer Hoffnung, vielleicht mit Betteln und Wimmern geht: „Bitte geben Sie mir meinen letzten Segen, Herr Pfarrer!“ – schrecklich.
Es ist bei anderen, zum Beispiel fernöstlichen, Religionen auch nicht anders, denn ob wir nun von „Himmel und Hölle“ sprechen oder vom „Karma“, durch das wir vielleicht wieder um eine Stufe zurückgeworfen werden, ist egal. Das ist alles der gleiche Unsinn. Es macht den Menschen nur Angst.
Vielleicht ist das der Unterschied zwischen Spiritualität und Religion: Der spirituelle Mensch möchte entdecken und erkennen, der religiöse Mensch möchte belohnt werden.
Ich glaube nicht ans Karma und nicht an Himmel und Hölle, sondern ich glaube eher, dass sich viele Menschen das Leben auf der Erde zur Hölle machen, damit sie dann in
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