Leb wohl, Schlaraffenland: Die Kunst des Weglassens (German Edition)
Tierprodukte – auch ohne Milch und Eier. Kann ein veganer Bauernhof im Waldviertel eine ganze Familie versorgen? Gut, vielleicht wäre es möglich. Aber ein Schwein oder eine Ziege hat so mancher Familie schon über den Winter geholfen. Auch die Jagd ist zur Lebensmittelproduktion für mich akzeptabel. Massentierhaltung und Schlachthöfe gehören aber boykottiert. Für mich ist das größte Problem, dass die industrielle Schlachtung von Tieren hinter verschlossenen Türen stattfindet und die Werbung darüber hinwegtäuscht. Dazu fällt mir ein Werbeplakat von Ja!Natürlich ein. Das ist die Bio-Marke von rewe in Österreich. Zu sehen ist eine Kuh, die genussvoll in den Sonnenuntergang blickt. Sie sieht aus wie gezeichnet, ich bin mir gar nicht sicher, ob es eine echte Kuh ist. Das Problem ist, dass sie bereits mit dieser Abbildung lügen, denn in Wirklichkeit hätte die Kuh Ohrmarken aus Plastik. Warum hat die Kuh auf dem Plakat so etwas nicht? Lebt sie nicht in der EU? Kann es überhaupt eine Kuh von Ja!Natürlich sein? Solche Fragen sollte man sich eigentlich stellen, wenn man ein Werbeplakat betrachtet.
Das Schöne ist, dass diese Art der Werbung bei mir ganz wunderbar funktioniert. Ich sehe das Plakat und denke mir: „Gut, dort kaufe ich nie wieder ein!“ Ich bemerke ein anderes Werbeplakat und sage: „Auch denen kaufe ich nie wieder etwas ab, weil sie mich anlügen.“ Und von Lügnern kaufe ich aus Prinzip nichts.
Es gibt Menschen, die kaufen, und Menschen, die verkaufen. Es ist ganz egal, woher du kommst, welche Hautfarbe du hast, ob du männlich oder weiblich bist, alt oder jung: Entweder du bist Käufer oder du bist Verkäufer. Jetzt kommt das Interessante daran: Deine Zugehörigkeit ändert sich quasi stündlich. Wir kennen beide Seiten und verhalten uns beim Kaufen anders als in der Lage des Verkäufers. Möchte ich etwas kaufen, so soll es möglichst billigsein. Will ich hingegen etwas verkaufen, so strebe ich einen möglichst hohen Gewinn damit an. Das pendelt hin und her – den ganzen Tag lang. Wir kaufen, wir verkaufen.
Wir verkaufen unsere Arbeitsleistung und unsere Zeit und dafür kaufen wir Industriegerümpel. Der Autoverkäufer verkauft ein Auto an den Hausverkäufer und drei Wochen später kauft er bei diesem ein Haus. Wir alle sind Teile des großen Spiels und daher ist es so schwierig, gegen den Wahnsinn anzukämpfen. Es gibt nicht den Verantwortlichen. Gäbe es die einen, die nur verkaufen, und die anderen, die ständig kaufen müssen, wäre das Spiel einfacher zu durchschauen. Dann würden sich irgendwann die Käufer gegen die Verkäufer auflehnen.
Nun kann jeder für sich in bestimmten Bereichen Abstriche machen und zum Beispiel beschließen, keine Kleidung mehr zu kaufen, die durch Kinderarbeit hergestellt wurde. Ein anderer fährt nur mehr mit öffentlichen Verkehrsmitteln und ein dritter entschließt sich dazu, vegan zu leben. Meistens handelt es sich aber nur um Teilbereiche des Lebens. Wer vegan lebt, fährt vielleicht noch immer Auto. Jemand anderer fährt mit dem Fahrrad, isst aber dreimal in der Woche Fleisch.
Meine Schwachstelle ist das Motorradfahren, darauf will ich einfach nicht verzichten. Und so hat jeder Mensch entweder mehr oder weniger solcher Schwachstellen. Man trennt Müll, steigt aber dreimal pro Jahr ins Flugzeug, um Urlaub zu machen.
Das Wichtigste ist, den Unterschied zwischen „brauchen“ und „wollen“ zu erkennen.
Bevor ich mit meinem Projekt „Gültige Stimme“ anfing, erzählte ich dir, Clemens, von meinem Vorhaben und auch von meiner Idee des Videotagebuchs. Du warst damals gerade aus Englandzurückgekommen – von deiner Expedition in die Biolandwirtschaft für dein Buch „Friss oder Stirb“. Wir sahen uns bei mir zu Hause auf der Leinwand viel von dem Material an, das du mit deiner Filmkamera eingefangen hattest – es waren vor allem Interviews, aber auch ein paar Landschaftsaufnahmen und Szenen aus der Bio-Massentierhaltung. Ich erinnere mich, wie begeistert wir beide von der tollen Bild- und Tonqualität waren.
„So eine semiprofessionelle Filmkamera wäre doch eigentlich die ideale Investition, um mich für mein Videotagebuch zu filmen“, sagte ich damals. Ich wollte ja, dass das Bild gut aussieht.
Ich recherchierte im Internet und sah, dass es inzwischen schon ein neueres Modell der Kamera gab. Ich las dann Tests und Kundenmeinungen über die Kamera, wobei manche auch schrieben, die Kamera sei doch nicht so gut. Du sagtest, das
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