Leb wohl, Schlaraffenland: Die Kunst des Weglassens (German Edition)
sei sie schon.
Jedenfalls beschäftigte ich mich mit dem Gerät und dachte sogar darüber nach, zwei Kameras zu kaufen, um aus verschiedenen Perspektiven filmen und das Ganze dann zusammenschneiden zu können. Ich suchte und suchte im Internet nach Kameras, bis ich mir dachte: „Wozu eigentlich? Ich mache einen Versuch, in dem es um Reduktion geht, und fange damit an, mir eine teure Filmkamera zu kaufen? So kann das doch nicht funktionieren!“
Es musste eine einfachere Lösung geben, und die bestand darin, schlicht und ergreifend die Webcam zu verwenden, die bereits in meinen Laptop eingebaut war.
In dieser Situation konnte ich an mir selbst beobachten, wie der Unterschied zwischen dem Wollen und dem Brauchen oft verschwimmt. Ich wollte diese Filmkamera haben und suchte nur nach einem Grund, sie zu „brauchen“. Ich war einfach geil auf das Ding geworden, wollte mir aber vormachen, dass der Kauf der Kamera wirklich sinnvoll und notwendig gewesen wäre. Dass es professioneller wäre, eine solche Kamera zu verwenden und so weiter.
Wir reden unseren Konsum vor uns selbst ständig schön und betrügen uns dabei. Man kann scheinbar jeden Kaufakt vernünftig erklären: Man kauft sich deswegen einen suv, obwohl man in der Stadt lebt, weil die Sicherheit der Kinder so wichtig ist. Daher braucht man in der Stadt plötzlich einen großen Geländewagen. Man lügt sich einfach furchtbar an, biegt sich alles zurecht, wie man es gerne sehen möchte. Genau so schwindelte ich mich wegen der Filmkamera an. Und dabei stieß ich auf eine riesengroße Lebenslüge, auf die „Konsumlüge“.
Mein Videotagebuch hat inzwischen weit über hundert Einträge und wird gut besucht – auch ohne diese Kamera.
Ich stellte mir also selbst folgende Regel auf: Wenn ich das Gefühl habe, ich brauche etwas, dann gehe ich in den Laden, schaue mir das Objekt an, kaufe es aber zunächst nicht. Ich muss erst eine „Abkühlphase“ von ein bis zwei Wochen einhalten. Danach erst treffe ich die Entscheidung für oder gegen den Kauf. In vielen Fällen stellt sich dann heraus, dass ich das Ding, das ich im Auge hatte, gar nicht brauche, sondern nur haben will. Früher konnte ich nicht abwarten und überlegen, sondern wollte immer alles sofort haben, worauf ich geil war. Ich setzte dann alle Hebel in Bewegung, um so schnell wie möglich zuzuschlagen. Das klingt doch schon sehr nach Sucht, nicht wahr?
Als Kind war für mich zu Weihnachten eigentlich die Zeit am schönsten, bevor das „Christkind“ kam. Die Vorfreude auf die Geschenke ist die eigentliche Freude. War das Christkind erst einmal da, hatte man vielleicht noch eine Zeit lang Spaß mit den Spielsachen, und dann war der Zauber wieder vorbei. Was glaubst du, wie langweilig es wäre, wenn jeden Tag Weihnachten wäre?
Wir erfinden ständig neue Anlässe, um uns etwas zu kaufen, uns gegenseitig zu beschenken, irgendetwas zu feiern oder uns mal wieder sinnlos betrinken zu können. Zur Füllung derLeerphase, in denen früher nichts dergleichen war, haben wir inzwischen Halloween entdeckt, damit es immer einen Grund gibt, alle Geschäfte mit Konsumobjekten zu füllen.
Kaum verschwinden die orangenen Halloweenkürbisse aus den Regalen, kommen schon wieder die roten Nikolausfiguren. So geht das ständig dahin. Durch unser Verhalten entzaubern wir so viele Dinge. Wir entwerten sie.
Wenn man nur fünfmal pro Jahr Fleisch isst, dann ist es jedes Mal ein besonderes Geschmackserlebnis. Wenn ich aber dreimal pro Tag Fleisch esse – am Morgen schon den Schinken auf dem Brot, zu Mittag ein Cordon Bleu und abends noch einmal ein Wurstbrot – wo ist dann der Reiz des Fleisches? Es gibt ihn nicht mehr. Die Menge macht den Wert aus. Es gibt unzählige schöne Dinge, die wir uns kaputtmachen, weil wir so viel davon konsumieren, dass es langweilig wird. Erich Fromm spricht vom Überfluss, der zum Überdruss wird.
Clemens G. Arvay: Wir sind zu Konsumjunkies geworden.
Roland Düringer: Das trifft es: Wir sind konsumsüchtig. Es geht aber nicht nur um Konsumgüter, sondern auch um andere Dinge im Leben. Von allem wollen wir immer mehr, bis es irgendwann „bumm“ macht, und alles wertlos wird. Die Wege aus dieser Sackgasse sind vermutlich für jeden Menschen individuell unterschiedlich.
Dass auch ich früher immer mehr wollte, führte dazu, dass ich mich körperlich nicht mehr wohlfühlte. Ich war einfach überfordert. Nicht, dass ich nahe dem Burn-out war, aber die Richtung, die ich eingeschlagen
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