Leb wohl, Schlaraffenland: Die Kunst des Weglassens (German Edition)
Menschen gar nicht wollen, aber leider brauchen, um ihrerseits Industriegerümpel zu erwerben, wodurch sie selbst auch sinnentleerte Arbeitsplätze sichern.
Alles, was wir uns als Besitz anschaffen, besitzt letzten Endes uns . Daher sagt man: „Besitz besitzt“. Ich bin ein Paradebeispiel dafür. Ich schaffte mir irrwitzig viele Dinge an, um die ich mich kümmern musste. Ich durfte erkennen, wie schwer es ist, das alles wieder loszuwerden.
Etwas zu kaufen ist eine einfache Aufgabe. Etwas zu verkaufen ist hingegen viel schwieriger.
Clemens G. Arvay: Es ist teilweise auch kaum mehr zu glauben, welch sinnentleerten Müll uns so mancher Konzern andrehen will. Ich erinnere mich an eine Situation, in der ich ziemlich perplex war. In einem Laden in Wien stieß ich doch tatsächlich auf künstlichen Christbaumschnee, der dort verkauft wurde.
Roland Düringer: Also künstlicher Christbaumschnee hat aus meiner Sicht im Ranking der sinnlosen Produkte wirklich einen Platz ganz weit vorne verdient. Puh, ja, das ist schon ziemlich weit vorne. Aber offenbar gibt es jemanden, der so etwas „braucht“, denn sonst würde es nicht angeboten werden.
Wahrscheinlich ist vielen ohnehin egal, was sie kaufen. Es ist eigentlich der Akt des Kaufens, der uns reizt. Auch mir ging es früher weniger darum, die Dinge zu besitzen, als darum, sie zu kaufen. Mich reizte die Herausforderung, seltene Autos aufzutreiben. Ich ließ sogar welche aus Japan über England importieren, die es bei uns in Europa nie gab. Die „Jagd“ danach war das Spannende, der Akt des „Erlegens“ oder einfach die Vorfreude. Danach steht dasAuto in der Garage und, naja, man hat es dann eben. Schon sucht man sich etwas Neues. Das ist die große Misere mit dem Konsum. Durch das Kaufen kompensieren wir Mängel. Möglicherweise belohnen wir uns durch Konsum auch selbst für unseren Fleiß.
Durch ein Einkaufszentrum zu gehen raubt mir inzwischen regelrecht meine Energie. Ich könnte stundenlang durch einen Wald laufen, über eine Wiese schlendern. Dort tanke ich Energie. Eine Stunde in einer Shopping City saugt mich hingegen aus. Ich verstehe nicht, wie Menschen es aushalten, dort zu arbeiten. Man müsste bei allem, was dort angeboten wird, nachfragen, wo es eigentlich herkommt, und was alles getan werden musste, damit es da sein kann – noch dazu zu meist viel zu niedrigen Preisen. In diesem Überangebot, dem wir ausgeliefert sind, können wir uns mit den einzelnen Waren und ihrer Entstehung unmöglich auseinandersetzen.
Wir konsumieren die ganze Zeit und wir konsumieren inzwischen sogar schon Menschen. Selbst die Liebe wird manchmal zum Konsumerlebnis: „Ah, wenn ich diese Frau erobere, dann …!“ Oder umgekehrt bei Frauen: „Wenn ich erst jenen Mann gewonnen habe …!“ Nach einer Zeit folgt dann wieder der Absturz. Dann braucht man etwas anderes, jemand anderen.
Ich schätze mich mittlerweile so ein, dass ich gut darüber lachen kann, was man mir alles verkaufen will. Das war nicht immer so – um Gottes Willen nein! Ich tappte in jede Konsumfalle, in die man nur tappen konnte. Aber das ist jetzt vorbei.
Wir haben nur einen Planeten und wollen endloses Wachstum. Jedes Kind kann diese Rechnung nachvollziehen: Steigt die Wachstumsrate auf dem begrenzten Mutterschiff „Erde“ Jahr für Jahr an, und produzieren wir immer mehr, um die Wirtschaft anzuheizen, dann bedeutet das auch einen exponentiell in die Höhe schießenden Ressourcenverschleiß. Obwohl wir wissen, dass dieRessourcen knapper werden, streben wir nach mehr wirtschaftlichem Wachstum. Das wird nicht mehr lange so gehen.
Wir wissen auch, dass diejenigen, die bis jetzt sehr geringe ökologische Fußabdrücke hinterlassen haben, nun anfangen, uns in Riesenschritten nachzueilen und ebenfalls viel zu große Fußabdrücke zu hinterlassen. Ich spreche von Indien, China, Südamerika und vielen anderen. Wollen wir denen dann sagen: „Ihr dürft es nicht so machen wie wir?“
Clemens G. Arvay: Globale Kontexte zu berücksichtigen ist jetzt sehr wichtig. Für den Hunger in der Welt sind wir hier im „Westen“ mit verantwortlich. Ich habe für meine Bücher intensiv in der europäischen Lebensmittelindustrie recherchiert. Die Geflügelindustrie zum Beispiel exportiert zu Dumpingpreisen Unmengen an Hühner- und Putenfleisch, das bei uns niemand mehr kaufen möchte. Der europäische Markt beschränkt sich zum größten Teil auf Brustfleisch.
In den riesigen Schlachthöfen, in denen inzwischen auch
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