Leb wohl, Schlaraffenland: Die Kunst des Weglassens (German Edition)
indem ich dieses oder jenes erreicht habe, fühle ich mich endlich wieder glücklich.“ Dann falle ich wieder in ein Loch und: „Ach, jetzt muss ich wieder etwas tun, damit ich mich wieder glücklich fühle.“ Darum sind wir immer auf der Suche nach mehr, vermutlich, nach mehr Erlebnissen, nach mehr Anerkennung, mehr materiellen Dingen, was auch immer. Dabei geht es darum, immer wieder das Fundament des Leidens zu verlassen und ein Glücksgefühl in diesem Leiden zu erleben. Wir leben in einer Zeit, in der das sehrleicht möglich ist, weil man sich Glück scheinbar kaufen kann. Wenn ich überzeugt davon bin, dass mich dieses Fernsehgerät oder jenes Auto glücklich machen wird, dann kaufe ich es mir einfach. Ich kann es mir sogar kaufen, wenn ich es mir eigentlich nicht leisten kann, weil es mir ja jemand finanziert, nämlich meine Bank.
Clemens G. Arvay: Interessanterweise stellte man fest, dass diese Art des Glückserlebens – eben zum Beispiel viel Geld zu gewinnen oder sich ein Objekt zu kaufen, ein neues Auto – zwar tatsächlich zunächst zu einem Glücksgefühl führen kann, aber man konnte auch nachweisen, dass solche Gefühle sehr schnell wieder abnehmen. Danach landet man unter Umständen wieder unter dem Glücksniveau, auf dem man davor war, im besten Falle auf demselben.
Und je mehr man diese gekauften Glückserlebnisse – diese materiellen – braucht, desto weniger effektiv werden sie mit der Zeit.
Roland Düringer: „Ein Schritt nach vorne, zwei Schritte zurück“, lautet dieses Prinzip. Da ich seit einem halben Jahr fast ausschließlich mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs bin, also den „Bürgerkäfig“ verlassen habe und mit der Bahn fahre oder mit der Straßenbahn, mit der U-Bahn und zu Fuß gehe, sehe ich viel mehr Menschen als zuvor und habe deutlich mehr Begegnungen. Was mir dabei auffällt, ist – ich weiß nicht, ob das jetzt neu ist oder ob das schon immer so war –, dass sehr viele Menschen gerade zu den Hauptverkehrszeiten, am Weg von oder zur Arbeit, in der U-Bahn stehen und die Mundwinkel hängen bis zu den Fersen. Diese Menschen werden natürlich ihre Gründe dafür haben, ihre Mundwinkel nach unten hängen zu lassen, aber es fällt mir eben auf. Ich glaube, dass ich stets mit einem Grinsen durchs Leben gehe, auch in der U-Bahn, obwohl es ja dort bekanntlich nicht immer lustig ist, aber bisweilen lustiger, als alleine im Bürgerkäfig im Stau zu sitzen.
Wahrscheinlich aber stecken immer mehr Menschen in Lebenssituationen, in denen das Lachen schwerfällt und so sind wir auf der ständigen Suche nach dem Lachen, der Freude, dem temporären Glücksgefühl. Man möchte sich ja nach einem Arbeitstag auch zu Hause über etwas freuen können. Das kann etwas zu essen sein, vielleicht auch Alkohol, ein unterhaltsames Fernsehprogramm. Manche schauen sich womöglich einen Porno im Internet an. Oder sie haben im besten Fall Sex mit dem Ehepartner. Man sucht sich einfach irgendetwas, um wieder ein bisschen Glück zu empfinden, weil man eines ganz genau weiß: Wenn am nächsten Morgen der Wecker klingelt, beginnt das Unglück wieder. „Blah, blah, blah“, schon in der Früh quatscht dich jemand aus dem Radio an und versucht verzweifelt, Stimmung zu machen. Spätestens bei den aktuellen Staumeldungen ist die Stimmung aber wieder im Keller.
Ich weiß, wovon ich spreche. Ich stecke zwar schon lange nicht mehr in einer solchen Arbeitswelt, aber ich war auch einmal dort und die Erinnerung an diese Zeit ist klar und deutlich. Schon während der Anfahrt zur Arbeit haben viele ihren Masterplan im Kopf: Du fängst um neun Uhr an und weißt schon, dass um viertel nach zehn die erste Kaffee- oder Rauchpause stattfindet. Das ist dann der erste Joker, um sich wieder ein bisschen glücklich zu fühlen. Dann gibt es um elf Uhr ein Stück Schokolade – wieder um ein wenig Glück zu erfahren. Danach geht es zum Mittagessen – das nächste Glückserlebnis. Zurück zur Arbeit und um halb zwei auf die Toilette gehen, am besten mit einer Zeitung, um ein wenig zu lesen, damit wieder ein bisschen Ablenkung und Glück aufkommt.
Man sucht sich eben diese Ausreißer aus dem monotonen Arbeitsalltag und dem damit verbundenen Gefühl des Unglücks. Das trifft bestimmt nicht auf alle Menschen zu, allerdings habe ich sehr wohl das Gefühl, wenn ich Menschen beobachte, dass viele von ihnen wie in einem Kokon eingesponnen sind. Darin verstecken siesich, vielleicht auch hinter dem iPhone oder
Weitere Kostenlose Bücher