Leb wohl, Schlaraffenland: Die Kunst des Weglassens (German Edition)
bedeutet auch, etwas zu fragen zu haben. Ich sprach zwar nicht viel, nicht pausenlos, wenn ich aber den Mund aufmachte, war es mir wichtig. Ich hielt zum Beispiel im Deutschunterricht sehr gerne Referate, was andere Schüler gar nicht gerne taten. Das war auch der Grund, weshalb ich auf die Bühne ging: Weil ich etwas zu sagen hatte, was ich mir von der Seele reden wollte; weil ich Menschen beobachtete und mich fragte: „Warum funktionieren sie so oder so?“ Mir kamen viele Verhaltensmuster von Menschen schon immer ein wenig seltsam vor. Oft verstand ich das Verhalten nicht oder sah überhaupt keinen Sinn dahinter, außer dass es der Anpassung an die Erwartungen der Gesellschaft diente. Auf der Bühne darüber zu sprechen war mir ein Anliegen und ich wollte Menschen, die ich nicht verstand, spielen, um denen, die im Publikum saßen, eine Art Spiegel vorzuhalten.
Jetzt fängt es zu regnen an. Der Regen vertreibt uns aus dem Garten und wir müssen hineingehen. Das ist ein „Unglück“: Wir sitzen draußen, die Sonne scheint, und plötzlich regnet es.
Clemens G. Arvay: Wir müssen uns anpassen.
Roland Düringer: Stimmt. Wir müssen uns anpassen und gehen besser hinein, ins Trockene. Deine Kameras werden es uns danken.
Vom Glücklichsein
Dinge, die mich selbst bewegen, zu einem Lebensthema geworden sind, fließen immer in meine Arbeit ein. Daraus entwickelte sich auch das Projekt „Gültige Stimme“. Darin übe ich mich in der Kunst des Weglassens und sage dem Schlaraffenland Schritt für Schritt Lebewohl. In diesem aktuellen Experiment geht es mir darum, zu reduzieren, Dinge wegzulassen und neue Werkzeuge zu verwenden. Ich bin damit dem guten Leben auf der Spur. Oder besser: meinem guten Leben. Für andere wäre dieser Weg wohl alles andere als der Schlüssel zum guten Leben und würde sie nicht glücklich machen.
Clemens G. Arvay: Trotz der Unterschiede von Mensch zu Mensch gibt es die Statistik, auf die die moderne Psychologie aufbaut: Ein positives Lebensgefühl – glücklich zu sein – hat offensichtlich auch gesellschaftliches Potenzial, da es nachweislich dazu führt, dass Menschen eher etwas für andere tun, und zwar gerne. Die Solidarität in der Gesellschaft erhöht sich unter diesen Umständen, was der bekannte Psychologe Peter Salovey als das Phänomen „Fühl dich gut und du tust etwas Gutes“ bezeichnet hat. Glaubst du, dass eine Gesellschaft, in der die Menschen positive Lebensgefühle haben, also ein gutes Leben führen, auch tatsächlich eine solidarischere Gesellschaft wäre?
Roland Düringer: Ja, ich glaube tatsächlich, dass eine Gesellschaft von Menschen mit positiven Lebensgefühlen auch solidarischer wäre, wobei man meines Erachtens zwei Dinge grundsätzlich unterscheiden muss: „glücklich sein“ und „sich glücklich fühlen“. Aus diesem Grund spreche ich viel lieber vom guten Leben.
Man kann sich, auch wenn man gerade nicht glücklich ist, dazu zwingen, sich glücklich zu fühlen. Das nennt man dann„positives Denken“. Ich glaube, dass viele Menschen ein unglückliches Leben führen und sich dennoch glücklich dabei fühlen können. Das unglückliche Leben wird sich erst im Alter als das entpuppen, was es war, wenn die Krankheiten kommen, die Unzufriedenheit, die Fragen: „Hätte ich doch damals, wäre ich doch … Wenn ich das gewusst hätte!“ Ein ganz und gar unglückliches Leben endet wohl mit dem Gedanken: „Um Gottes Willen, was hätte ich alles anders machen können!“ Das muss furchtbar sein, obwohl sich ein solcher Mensch in vielen Phasen seines Lebens vielleicht glücklich ge fühlt hat.
Wenn jemand zum Beispiel schlechte Nahrung zu sich nimmt, ständig Fast Food oder industrielle Nahrungsmittel isst, dann fühlt er sich in dem Moment des Bestellens, des Kaufens oder des Essens glücklich. Ansonsten würden die Menschen es ja nicht so machen. Gerade bei Zucker, in welcher Form auch immer, ist das sehr gut sichtbar. Süß macht glücklich. Das vermeintliche Glück entpuppt sich dann später als großes Unglück, schon aus gesundheitlichen Gründen. Daher: Sich glücklich zu fühlen und wirklich glücklich zu sein – nämlich auf einem guten Fundament langfristig glücklich zu sein – sind zwei gänzlich verschiedene Phänomene. Ich glaube, dass viele Menschen in einer Lebenssituation stecken, in der sie latent unglücklich sind. Die Realität des persönlichen Unglücks wird immer wieder durch Glücklichfühl-Spitzen überspielt: „Ach, jetzt,
Weitere Kostenlose Bücher