Lebe lieber innovativ
Preis für einen Wagen. Wir verhandeln praktisch den ganzen Tag, doch den meisten von uns ist das noch nicht einmal bewusst, geschweige denn, dass sie wissen, wie man richtig verhandelt.
In meinen Kursen führe ich oft eine Übung durch, die oberflächlich betrachtet wie eine einfache Verhandlung zwischen Bewerber und Arbeitgeber wirkt. 1 Dabei gibt es acht Themen, über die sich die Paare verbindlich einigen sollen, darunter auch das Gehalt, die Urlaubszeiten und die Arbeitsaufgaben. Mit jedem dieser Themen sind für die Verhandlungspartner bestimmte Punktwerte verbunden und beide haben das Ziel, eine möglichst hohe Punktzahl zu erreichen. Normalerweise gehen die Teams die Liste der Reihe nach durch und versuchen, zu jedem Thema eine Vereinbarung zu treffen. Doch in der Regel stellen sie schnell fest, dass diese Strategie nicht greift. Am Schluss der 30-minütigen Verhandlungsphase gelangen einige der Paare zu einer Lösung und andere beschließen, ohne Übereinkunft wieder auseinanderzugehen. Die Verhandlungspartner, die eine Vereinbarung getroffen haben, kann man generell in zwei Kategorien einteilen: Diejenigen, die miteinander arbeiten wollen, und jene, die sich mit dem Ergebnis unwohl fühlen. In manchen Zweierteams erreichen beide Partner ganz ähnliche Punktzahlen, in anderen völlig unterschiedliche. Wie kommt das?
Die meisten Paare gehen bei den Verhandlungen von falschen Annahmen aus. Die häufigste Fehlannahme beinhaltet, dass sowohl Arbeitgeber als auch Bewerber ganz gegensätzliche Ziele verfolgen. Der Bewerber nimmt an, der Arbeitgeber wolle genau das Gegenteil von dem erreichen, was der Bewerber möchte. In Wirklichkeit stehen ihre Ziele bzw. die
Themen, die sie zu diskutieren haben, aber folgendermaßen zueinander: Sie haben zwei gemeinsame Ziele, zwei entgegengesetzte, zwei Ziele, die dem Bewerber wichtiger sind, und zwei, auf die der Arbeitgeber größeren Wert legt. Obwohl das alles nur gestellt ist, spiegelt diese Übung die Situationen wider, die im wahren Leben am häufigsten auftreten. Auch wenn sie glauben, zu einem Thema ganz gegensätzliche Positionen zu vertreten, haben die Parteien oft gemeinsame Interessen und manche Themen sind der einen normalerweise wichtiger als der anderen.
Der Schlüssel zu einer erfolgreichen Verhandlungsführung liegt darin, die Interessen aller Beteiligten herauszuarbeiten, um für jeden das bestmögliche Ergebnis zu erzielen. Das ist leichter gesagt als getan, denn viele Menschen halten mit ihren Interessen hinterm Berg, weil sie glauben, so ihre Verhandlungsposition zu stärken. Diese Strategie ist in den meisten Fällen fehl am Platz, weil Ihre Wünsche womöglich in Wirklichkeit mit denen Ihres Gegenübers übereinstimmen.
Schauen wir uns an, was ich kürzlich bei einem Autokauf erlebte. Ich wollte so wenig wie möglich bezahlen und ging aber davon aus, dass der Verkäufer sich wünschte, ich möge möglichst viel Geld ausgeben. Ich beschloss, diese Annahme auf den Prüfstand zu stellen. Während der Testfahrt stellte ich ihm viele Fragen zur Automobilindustrie und zum Honorarsystem für Autoverkäufer. Ich erfuhr, dass die Provision dieses Verkäufers nicht vom Kaufpreis des Wagens abhing. Stattdessen basierte seine Prämie darauf, wie die Kunden seine Tätigkeit bewerteten – ganz unabhängig vom Preis des Wagens. Ich bot ihm an, eine hervorragende Beurteilung auszustellen – er sollte mir nur einen guten Kaufpreis anbieten. So stellten wir eine Win-win-Situation her. Ich hätte niemals gedacht, dass
unsere Interessen in Einklang miteinander standen, wenn ich mir nicht die Zeit genommen hätte, ihnen auf den Grund zu gehen.
In unserem Leben bieten sich jeden Tag reichlich Verhandlungs- bzw. Übungsmöglichkeiten: Vor ein paar Jahren war ich bei einer Tagung in Peking und mein Kollege Ed Rubesch traf sich mit einigen seiner Studenten aus der Thammasat -Universität in Thailand, die einen Ausflug zur Chinesischen Mauer bei Sonnenaufgang geplant hatten. Das klang fantastisch und auch ich wollte die Chinesische Mauer unbedingt bei Sonnenaufgang aufsuchen. Ich glaubte, dass sich solch eine Fahrt sicher leicht arrangieren ließe, doch aus irgendwelchen Gründen erwies sich das als nahezu unmöglich. Zuerst fragte ich den Hotelportier, dann einen Professor vor Ort und schließlich die Taxifahrer in der Nähe meines Hotels. Doch niemand konnte mir helfen. Gleichzeitig pries ich die Idee bei weiteren Kollegen an, so dass schließlich mehrere mitfahren
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