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Leben bis zum Anschlag

Leben bis zum Anschlag

Titel: Leben bis zum Anschlag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Rapp
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Wassersaufen hast du mir mit deiner beschissenen Kolibakteriengeschichte bis ans Ende meiner Tage versaut.« Wieso führt Hakan sich so auf? »Da komm ich als Abgesandter der Familie extra zu deinem Geburtstag und du behandelst mich wie ein Stück Scheiße!«
    »Erzähl kein Blech! Dir ist es doch nicht um mich gegangen! Du hast Ärger mit deinen Freunden. Das ist alles. So, wie es gelaufen ist, hätte ich tausendmal lieber ohne dich gefeiert.«
    »Sorry, dass ich in deinen aufgeräumten Kosmos eingedrungen bin.« Die Glocken der St.-Nicolai-Kirche klingen aus und Mehmet lauscht und hört ganz genau, wie sich die Stille über den dichten Klang legt. Noch nie hat er das so bewusst gehört.
    Töne platzieren und zum Schwingen bringen, Klänge ausbreiten
und Rhythmen dagegensetzen, das kann er richtig gut, darin hat er Übung. Aber er hat noch nie ausprobiert, mit Stille den Sound verschwinden zu lassen. Ist es möglich, verschiedene Arten von Stille über Klang zu legen? Diesen Gedanken muss er aufschreiben, und dazu braucht er Tee, denkt Mehmet und liest genau in diesem Moment: MERHABA Kebap & Pizza House. Ausgerechnet ein Dönerladen in Lüneburg bringt ihm wieder den Glauben an Wunder zurück!
    »Du Idiot hast mir meinen Geburtstag versaut!«, wettert Hakan.
    Mit einem entschlossenen »Pssst« verwandelt Mehmet Hakan in Stille. Sein neu gewonnenes Glück lässt er sich nicht gleich wieder rui nieren! Er steuert auf den Dönerladen zu. »Ich lad dich auf’n Tee ein.«
    »Pssst?« Hakan beschleicht das ungute Gefühl, dass sein Cousin nicht mehr richtig tickt, und mustert ihn verstohlen. Vielleicht erwähnt er deshalb Jennifer mit keinem Ton, vielleicht hat er Schafskäse statt Hirn im Schädel und vergessen, dass er mit ihr geknutscht hat? Das würde vieles erklären, stimmt Hakan aber nicht milder. Im Gegenteil.
    Mehmet kriegt von Hakans Stimmung nichts mit. Vollkommen absorbiert kritzelt er seit Minuten seine Gedanken auf die Rückseite des Lüneburger Wochenblatts und nippt an dem süßen, starken Schwarztee.
    Das Getue provoziert Hakan kolossal. Er schielt über Mehmets Schulter und versucht zu entziffern, was er da so Wichtiges zu Papier bringt.
    »Bin gleich fertig, schreib nur was über Klang und Stille«, sagt Mehmet.
    Das hat Hakan als Information noch gefehlt, um den Cousin arschklar auf die Widersprüche seines Verhaltens hinzuweisen:
»Klang und Stille, aha. Schreibst du quasi philosophisch oder technisch darüber?«
    »Beides«, murmelt Mehmet.
    »So, so.« Die Musik, der Club und vor allem der Kiez sind nicht Hakans Welt, obwohl er mittendrin aufgewachsen ist.»Wenn ich dein Gelalle heute Nacht richtig verstanden habe, dann willst du das jetzt alles hinschmeißen?«
    »Was will ich hinschmeißen?« Mehmet hat nicht zugehört.
    »Deine Musik. Den Club. Eine gewisse Nora. Dann noch Keath. Irgendwelche Hunde …«
    »Quatsch«, sagt Mehmet.
    »Doch, und die Tontechnikerausbildung interessiert dich auch nicht mehr«, beharrt Hakan. Er ist sich jetzt sicher, dass Mehmet übergeschnappt ist. Seine Mutter hat das vorhergesehen. »Der Club wird Mehmet zerstören«, hat sie immer gesagt – und recht behalten.
    »Mann, Hakan, ich arbeite schon als Tontechniker. Und ich bin nicht schlecht.«
    »Ich kotz gleich«, stöhnt Hakan.
    Zum ersten Mal blickt Mehmet von seinen Notizen auf. Hakan ist bleich. »Was ist los mit dir?«
    »Du bist so ein Angeber!«
    Mit der Antwort hat Mehmet nicht gerechnet.
    »Du kannst alles, was ein Tontechniker können muss?«, hakt Hakan nach.
    »Ja.« Mehmet schreibt weiter.
    »Okay.« Hakan kocht. »Und was ist mit dieser Nora?«
    Nora.
    Der Klang ihres Namens ist wie ein Riss auf Mehmets Trommelfell. Es tut weh. Er reißt die Seite mit seinen Notizen aus dem
Wochenblatt. Der Typ hinter der Theke sieht zu ihm rüber. Mehmet winkt ihm mit der vollgeschriebenen Seite zu. Der Typ nickt, als hätte er alles verstanden.
    »Nora geht dich einen feuchten Furz an«, sagt Mehmet.
    »Ich weiß, wer sie ist.«
    »Von Tante Ayshe?« Sein Cousin nickt und Mehmet verzieht das Gesicht. »Und dann denkst du, dass du weißt, wer sie ist?«
    Ja, genau das denkt Hakan. Seine Mutter hat erzählt, dass eine polnische Schlampe hinter Mehmet her ist. »Du hast heute Nacht ununterbrochen von ihr gelallt. Hat geklungen, als wärt ihr das ideale Team, das Dream-Team sozusagen.« Das sitzt, das sieht Hakan Mehmet an, also setzt er nach: »Deine Nora fickt also Keath. Ist das nicht dein alter Freund, der

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