Leben bis zum Anschlag
doziert Hakan weiter.
»… bleibst du verschont, weil die Kolibakterien bei der Bierherstellung draufgehen«, vollendet das Mädchen.
Mehmet fühlt sich wie ein Alien und schiebt die Wasserflasche weg. Neue Bierflaschen werden gekappt, Kronkorken fliegen durch die Gegend. Im Hintergrund läuft Du gehörst nicht ihr von Gabi Gelb, bis die zerkratzte CD im Klanggewabere hängen bleibt.
Mehmet schenkt Hakan seine letzte CD und bestellt die Familiengrüße.
»Wusste gar nicht, dass du Türkisch kannst«, sagt einer zu Hakan und schon kommt dessen Unterhaltung mit Mehmet ins Stocken. Bevor Mehmets Geschenk in der Bierlache schwimmt, legt er sie auf, und als er Noras Stimme hört, lässt er sich auch mit Bier volllaufen. »Immer wenn ich was will, nimmt es mir jemand weg.« Mehmet lallt.
Die anderen reden immer noch übers Wasser und das Reinheitsgebot.
»Was kann ich ’n machen, wenn andere sich immer das krallen, was ich will?«
Niemand weiß darauf eine Antwort. Mehmet steht auf und tanzt. Es bleibt ein Solo.
»Was is’n das für’ne schräge Musik?«, fragt einer.
»Meine.«
Hakans Gäste halten es für Mehmets mitgebrachte Musik, nicht für seine eigenen Kompositionen.
»Leg noch mal Gabi auf«, sagt das Mädchen.
»Wehe«, droht Mehmet. Das Ansinnen wirft ihn aus dem Takt. Empört hält er sich am schwankenden Billy-Regal fest. »Wer ist das noch mal?«, fragt einer Hakan, als wäre Mehmet gar nicht da. »Dein kleiner Bruder, oder was?«
»Mein Cousin.«
»Hat der was zu melden oder können wir ihn rausschmeißen?«
Meckerndes Gelächter nimmt der Frage die Schärfe, trotzdem ist Mehmet verletzt. Fans von Gabi Gelb werden bis ans Ende ihrer Tage nicht seinen Musikgeschmack teilen, das ist ihm klar, aber er kann in Hakans Bude und in der Gesellschaft seiner Kommilitonen unmöglich ohne Noras Stimme sein. Mehmet rutscht an der Wand herunter und setzt sich auf den Boden.
»Wie alt bist du, Mehmet?«, fragt das Mädchen und setzt sich neben ihn. »Du heißt doch Mehmet?« Ihr ist das Verhalten der anderen ein bisschen peinlich.
»Siebzehn. Mach dich also nicht strafbar und verführe mich nicht, Ungläubige.« Mehmet sieht sie ernst an.
Sie denkt: Holla, hat der schöne Augen. Laut sagt sie: »Das meinst du nicht ernst, oder?«
Mehmet schüttelt den Kopf und fährt ihr selbstvergessen mit dem Finger über die Nase. »Wie heißt du?«
»Jennifer«, sagt sie perplex.
»Hallo, Jennifer.« Mehmet schlingt ihre Haare um seine Hand und küsst Jennifer langsam auf den Mund. Sie hat sehr weiche Lippen. Angenehm, findet Mehmet, und mehr spürt er nicht.
Sie genießt den Kuss, während der männliche Rest der Lerngruppe die Welt nicht mehr versteht. Sie starren nicht offensichtlich zu dem knutschenden Pärchen hin, aber lassen sich auch nichts entgehen, vor allem Hakan nicht. Er hat mit Jennifer gebüffelt
wie ein Stier, stunden-, tage-, wochenlang. Stoffkreislauf, Biotechnik, Hydromechanik, Hydrogeologie und Abwasseranalytik rauf und runter. Ihre Nähe motiviert ihn, ihre Fragen stimulieren ihn. In den Augen der anderen sind sie so gut wie zusammen, weil sie immer miteinander abhängen, ob in der Mensa oder in der Bibliothek. Und dann kommt Mehmet, der Loser, und knutscht mit ihr – einfach so!
Ein anderer aus der Lerngruppe, der Jennifer auch sehr attraktiv findet, ihr jedoch nicht so nah steht wie Hakan und erst recht nicht wie Mehmet im Moment, will wissen: »Ey, Hakan, können wir ihn jetzt rausschmeißen?«
Hakan kriegt die Zähne nicht auseinander.
Mehmets Musik verklingt, und Noras Stimme verweht wie ein Hauch mit dem Text »I’m not small«.
Plötzlich setzt lautes Kühlschrankbrummen ein, oder ist es das Rechnergebläse, das auf Hochtouren läuft, oder ein Moped, das unten im Hof heult?
Da sagt Jennifer plötzlich völlig ernüchtert: »Er ist eingepennt.«
Track #09
09 Party
Maika liegt auf der Seite, hat den Ellbogen aufgestützt und lässt das Espressotässchen auf Leifs Bauch nicht aus den Augen. Es droht umzukippen, als ihm die Augen wieder zufallen. Zu dieser frühen Morgenstunde, es ist 10:55, ist er noch nicht bei Bewusstsein.
Maika trinkt erst Leifs und dann ihren Espresso. »Ich mach mich auf den Weg.«
Er tastet nach der Tasse. »Wo ist mein Kaffee?«
»Weg, in deinem Nabel verschwunden.«
»Erzähl mir nix, Nacktschnecke. Mach ’n neuen.«
»Nimm lieber ein Mützchen voll Schlaf«, schnurrt Maika. »Du bist doch noch so müde.«
»Die ganze Nacht hab ich geträumt«,
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