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Leben im Käfig (German Edition)

Leben im Käfig (German Edition)

Titel: Leben im Käfig (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raik Thorstad
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immer noch nicht entschieden habt, welches Märchen ihr den Leuten auftischt, weil ich weg bin. Wir haben 2010, Mama. Und ich habe nicht die Pest!“
    Sie seufzte schwer und warf einen Hilfe suchenden Blick in Richtung ihres Mannes, der jedoch nur mit seiner Gabel spielte und keine Anstalten machte, an dem Gespräch teilzunehmen.
    Ihre Wangen färbten sich rosa: „Das hat auch niemand behauptet. Aber verstehst du nicht, dass das schwer für uns ist?“
    „Nein. Ich muss ja damit leben, nicht ihr.“
    „Ja, aber wir müssen hier zurechtkommen. Und wir müssen die Blicke ertragen.“
    „Das ist nicht mein Problem oder meine Schuld“, fauchte Sascha. „Die Dummheit anderer Leute ist nicht mein Bier. Außerdem wette ich mit dir, dass das nicht halb so ein Drama wäre, wenn du kein Geheimnis daraus machen würdest. Ist doch klar, dass die Leute reden, wenn du dauernd vor ihnen abhaust.“ Er stockte kurz. „Weißt du, andere Mütter kommen damit klar. Deine eigene Schwester zum Beispiel. Sie würde Fabian nie so sitzen lassen wie ihr mich.“
    Er klang verletzt und er hasste sich dafür.
    „Wir lassen dich nicht sitzen“, schob sein Vater sich dazwischen. „Wirklich nicht.“
    „Fühlt sich aber verdammt so an. Ich kann euch doch eh nichts recht machen. Es war doch vorher schon alles zum Kotzen.“
    „Danke“, entgegnete Karen beleidigt. „Eigentlich habe ich gar keine Lust, mich mit dir zu unterhalten, wenn du so gemein bist. Die Welt besteht nicht nur aus dir.“
    „Ja, aus dir aber auch nicht. Denn das ist doch alles, was zählt. Wie du zurechtkommst, was die Leute über dich sagen, ob du zu den richtigen Festen eingeladen wirst, ob man dir vorwirft, als Mutter versagt zu haben, ob ...“
    „Sascha, das reicht!“
    Die Stimme seines Vaters war fest, aber eher resigniert als wütend. Mehr denn je kam er seinem Sohn vor wie ein alter, dicker Mann mit einem grauen Haarkranz, der in einer anderen Welt aufgewacht war als der, in der er am Abend zuvor eingeschlafen war.
    Manchmal fragte Sascha sich, ob er überhaupt das Kind seines Vaters war. Er selbst war fast 1,90 Meter groß, hatte scharfe Züge und volle Haare. Dieter Suhrkamp dagegen war ein Gartenzwerg mit Bierbauch, einem freundlichen Kartoffelgesicht und hatte laut altem Bildmaterial schon mit zwanzig Jahren tiefe Geheimratsecken gehabt. Sie sahen sich wirklich nicht ähnlich.
    Frustriert lehnte Sascha sich zurück und fasste finster seine Mutter ins Auge, die sichtlich um ihre Fassung rang. Dieses Gespräch war überflüssig. Es führte zu nichts.
    „Beruhigen wir uns erst einmal“, sagte Karen nach einer Weile leise. „Schau, ich, nein, wir haben uns in der Zwischenzeit mit dem Thema auseinandergesetzt. Du glaubst anscheinend, dass du uns total egal bist, aber das stimmt nicht. Wir machen uns Sorgen um dich. Alles, was wir wollen, ist, dass es dir gut geht. Glaubst du mir das?“
    Sascha schwieg.
    Als sie begriff, dass sie keine Antwort bekommen würde, fuhr sie fort: „Ich war bei Pfarrer Siebenstetter und habe ihn um Rat gefragt. Er ...“
    „Sag mal, spinnst du? Jeder weiß, wie die katholische Kirche zu Schwulen steht“, giftete Sascha dazwischen. „Was kommt jetzt? Erziehungscamp? Rosenkranz beten?“
    „Nein! Nun ist es aber mal gut!“ Seine Mutter wurde lauter. „Von so etwas ist nicht die Rede. Und du weißt auch, dass unser Pfarrer nicht von dieser Sorte ist. War er nie. Du bist früher gerne zu den Jugendgruppen gegangen. Wie gesagt, ich habe mit ihm gesprochen und er hat uns geraten, die Ruhe zu bewahren. Er hat uns gesagt, dass viele Jungen in deinem Alter orientierungslos sind und eine Weile brauchen, bis sie wissen, was sie wollen. Dazu gehört auch, dass man mal mit einem Freund verrückte Dinge probiert. Das muss nichts heißen. Verstehst du? Es ist überhaupt nicht gesagt, dass du schwul bist, nur weil du einen Jungen geküsst hast.“
    Sascha blieb der Mund offen stehen. Das war also die neue Schiene. Verleugnung. Die Hoffnung, dass er sich nur in einer Phase befand. Pubertäre Irrwege, die sich früher oder später glätten würden. Er konnte es so stehen lassen, aber er wollte nicht.
    Er wusste, wer und was er war. Dass er Männer liebte, war kein Spleen und kein Ausritt in das Tal der Ahnungslosen. Es war die nackte Realität.
    „Aha. Dumm nur, dass wir nicht von einem einzelnen Kuss oder Nachmittag oder Ausreißer reden“, sagte er mit dünner Stimme. „Dumm nur, dass ich schon seit Jahren mit Kerlen herummache,

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