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Leben im Käfig (German Edition)

Leben im Käfig (German Edition)

Titel: Leben im Käfig (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raik Thorstad
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Spielplatz gesponsert. Sein Vater hatte damals geholfen, das Klettergerüst zu bauen.
    Vielleicht war das der Grund, warum es Sascha hierher zog. Als kleiner Junge hatte er nachmittags ganz oben auf dem Gerüst gesessen und mit den anderen Kindern gespielt. Als er über den Zaun kletterte, blieb der Stoff seiner Hose hängen. Es gab ein hässliches Geräusch, dann wurde es kühl an seinem linken Bein.
    Sascha umrundete die Wippe, die Schaukeln, das Holzhäuschen und die anderen hölzernen Spielgeräte. Hier gab es keine Metallkonstruktionen, keine rostigen Eisenstangen oder gar Kunststoff. Nur ordentlich gebeiztes Holz, dicke Taue und Ketten für die Schaukeln. Viel Sand, kein Beton, keine Grasnarbe, über die man fallen konnte.
    Seine Sicht verschwamm, als er auf das Klettergerüst zusteuerte und wie in alten Zeiten ganz nach oben kletterte. Angekommen in dem Krähennest, das an ein Piratenschiff erinnern sollte, zog er die Beine an und lehnte sich gegen den Mast. War das Gerüst schon immer so klein gewesen? Nein, wohl nicht. Er war mittlerweile nur zu groß dafür.
    Es tat weh. Alles. Seine Mutter und ihr Verhalten, sein Vater, der nicht wusste, wie er mit ihm umgehen sollte. Katja, die ihn vehement verteidigte und heute unglaubliche sechzehn Jahre alt geworden war. Sein altes Zimmer, das fremd roch. Die vertrauten Mauern seines Elternhauses, die ihn früher beschützt hatten. Die gemütliche Küche, in der seine Mutter so manches aufgeschlagene Knie verarztet hatte. Seine Freunde, die keine Freunde waren. Bekannte Gesichter, die ineinanderflossen, bis sie ihm fremd waren. Kai.
    Sascha schloss die Augen und fühlte sich, als befände er sich wirklich auf einem Schiff. Er konnte den Wellengang spüren. Wellen. Meer. Brandung. Hamburg. Er wollte nach Hamburg. Zurück in eine Welt, in der er angenommen wurde.
    Ohne nachzudenken, trank er erneut aus seiner Flasche und griff nach seinem Handy. Er hatte keine Ahnung, wie spät es war, aber er musste jetzt eine freundliche Stimme hören. Es fiel ihm gefährlich schwer, sein Telefon zu bedienen. Um ein Haar hätte er eine falsche Nummer angerufen, doch schließlich traf er den richtigen Eintrag.
    Auch dieses Mal war Andreas schnell an der Leitung und seine Stimme ließ ahnen, dass er noch nicht geschlafen hatte. Er wirkte zu einhundert Prozent wach, aber ein wenig wortkarg: „He.“
    Mehr sagte er nicht.
    „Hallo“, lallte Sascha in den Hörer. „Ich bin es. Also Sascha.“
    „Das dachte ich mir fast. Weißt du, wie spät es ist? Gut, dass das Telefon noch bei mir im Zimmer war. Meine Eltern hätten einen Krampf bekommen.“
    „Sorry, will dir keinen Ärger machen. Soll ich auflegen?“ Er war enttäuscht. Freute sein Freund sich nicht? Nur weil es ein bisschen später war?
    „Nein, Quatsch. Du klingst irgendwie komisch. Party vorbei? Bist du betrunken?“
    „Hmm ... nein, die Party rockt noch“, hickste Sascha. „Und jaaa, ich bin betrunken. Glaube ich. Und du?“
    Er hörte Andreas lachen. Es war Musik in seinen Ohren: „Nein, bin ich nicht. Natürlich nicht. Hast du Spaß?“
    „Nein, habe ich nicht. Alles Mist.“
    „Oh, das ist schlecht.“ Es klang mitfühlend und sanft.
    „Total schlecht“, schmollte Sascha traurig, bevor ihm etwas Wichtiges einfiel. Etwas, das er Andreas unbedingt sagen wollte: „Ich bin raus. Und weg. Bin auf dem Spielplatz. Wollte deine Stimme hören.“
    Er hörte ein Schnaufen und gleich darauf ein Knarren. Vermutlich hatte Andreas sich auf sein Bett gelegt. Sascha schloss wieder die Augen und stellte es sich vor. Jedes Detail. Das Zimmer, Andreas, die Matratze, das weiche Licht. Keine gute Idee, denn dadurch fühlte er sich noch einsamer. Die Erinnerung an den Nachmittag, an dem sein Freund in seinen Armen geschlafen hatte, schmerzte auf einmal schrecklich.
    „Red' mit mir“, bat er leise.
    In dieser Sturmflut aus Empfindungen brauchte er seinen Anker.
    „Was soll ich denn sagen?“, gab Andreas zurück. „Was ist bei dir los? Du warst heute Morgen schon so komisch.“
    „Die nerven alle. Und die sind bescheuert. Ich ... mir gefällt es hier nicht.“
    „Morgen ist es ja vorbei“, versuchte sein Freund zu trösten. „Und danach musst du ja auch nicht mehr hinfahren. Aber hey, was machst du auf dem Spielplatz?“
    „Sitze auf dem Klettergerüst“, nuschelte Sascha.
    Klare Frage, klare Antwort. Im Dunst des Tequila erschien ihm diese Antwort sehr sinnvoll.
    Andreas schnappte nach Luft: „Ich weiß ja nicht, ob das so

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