Leben im Käfig (German Edition)
einen Unfall gehabt und in der Turnhalle hatte es einen Wasserrohrbruch gegeben. Wie immer fiel der Lateinlehrer durch unfaire Benotungen negativ auf und das nahende Abitur verwandelte die ersten Mitschüler in nervliche Wracks.
Ihre Stammkneipe hatte einen neuen Billardtisch bekommen. Die Katze von Anna war gestorben, woraufhin sie drei Tage lang nicht in die Schule kam. Es gab Gerüchte, wonach die Schlampe aus dem Biologie-Leistungskurs mit ihrem Lehrer geschlafen hatte, um bessere Zensuren zu ergattern. Auf dem Parkplatz vor dem Gymnasium waren bei feuchtem Boden zwei Fahranfänger mit den Wagen ihrer Mütter zur Belustigung aller Umstehenden ineinander gerutscht. Eine Dreiecksbeziehung, von deren Protagonisten Sascha nur einen kannte, drohte in die Luft zu gehen.
Stoff zum Lachen, Stoff zum Aufregen, Stoff zum Lästern. Nichts hatte sich verändert.
Nur Sascha gehörte nicht mehr dazu. Er war nicht dabei gewesen, als im Chemieunterricht eine Batterie Reagenzgläser vom Regal krachte. Er war kein Zeuge gewesen, als sich das Schultraumpaar in den Gängen vor dem Musikraum in die Haare bekam und nach vier Jahren trennte. Das Beachvolleyball-Turnier am Strand des Sees hatte er verpasst. Seine alte Stammkneipe war kein Ort mehr, den er regelmäßig besuchte. Er war außen vor.
Das hier war nicht mehr sein Leben.
Zum ersten Mal betrachtete er den Kreis seiner Freunde von außen. Als Fremder. Auf eine Weise sah er sie deutlicher denn je zuvor, auf eine andere Weise erkannte er sie nicht mehr. Sie waren gute Freunde gewesen, aber nicht die besten. Er gehörte nicht mehr zu ihnen und war nicht ansatzweise betrunken genug, um lachend darüber hinweggehen zu können.
Als er dieses Mal seinen Weg hinter die provisorische Theke fand, nahm er sich kein neues Bier, sondern griff sich die Flasche Tequila, die auf ihren Einsatz wartete. Die runde Form passte wunderbar in die Beintasche seiner Armeehose.
Prüfend warf er einen Blick zur Stereoanlage, um die ein Dutzend Leute standen und darüber diskutierten, was als Nächstes gespielt werden sollte. Nur in den ersten Stunden hatte Sascha aufgelegt. Mittlerweile gab es so viele willige Musikfans, dass er sich nicht mehr darum kümmern musste. Wo Katja steckte, wusste er nicht.
Verdammt, wie viele Leute waren eigentlich da? Ungefähr vierzig Mann waren allein in diesem Raum und nebenan in der Waschküche ging es weiter. Dazu hatte er schon mehrere Leute über die Kellertreppe nach draußen in den Garten gehen sehen, wo die Musik leiser war und die Pärchen sich wohler fühlten.
Und es kamen immer noch mehr Gäste. Dorf-Party halt.
Sascha wich ein paar wild tanzenden Mädels aus und machte sich auf den Weg zur Treppe. Er wollte nach oben in sein Zimmer. Wenigstens für eine Weile. Für den Augenblick war ihm alles zu viel. Lange konnte er sich allerdings nicht verabschieden, denn seine Mutter hatte ihn gebeten, ein Auge auf das Treiben zu haben. Typisch. Wenn die Party ausartete, konnte er eh nichts unternehmen. Er konnte sich keiner Horde feiernder Schüler im Alleingang entgegen stellen. Schon gar nicht mit sechs Bieren und zwei Gläsern Sangria im Blut.
Durch die Menschenmassen schob er sich in Richtung Treppe, nahm unterwegs den Tequila aus der Tasche und trank ein paar Schlucke, um den dumpfen Schmerz in seiner Brust zu betäuben. Als er auf der untersten Stufe stand, fasste ihn jemand am Arm.
Unwillig wehrte er sich gegen den Griff und verschüttete dabei einen Teil seines Getränks auf den Stufen.
„Sascha“, rief ihm jemand zu. „Warte doch mal.“
Er drehte sich um. Sein Kreislauf folgte ihm erst einige Sekunden später. Er blinzelte den Störenfried an. Es war Kai. Verdammt noch mal, was tat der denn hier?
„Was willst du?“, blaffte Sascha unfreundlich. „Ich bin gerade auf dem Weg nach oben.“
„Mit dir reden. Nur ganz kurz.“ Kai lächelte ihn süß an. Auf einmal wusste Sascha wieder, warum er ihn mit zu sich nach Hause genommen hatte. Damals, als alles in die Hose ging.
„Meinetwegen. Komm halt mit“.
Oben im Flur trafen sie auf ein knutschendes Pärchen, das von Sascha mit einer eindeutigen Geste wieder nach unten gescheucht wurde. Er stieß auf und trank noch einen Schluck, bevor er sich Kai zuwandte.
„Was willst du von mir?“, wiederholte er seine Frage. Er kam sich nicht grob vor. Kai hatte sich nicht gerade fair aufgeführt, nachdem sie miteinander erwischt worden waren.
„Dir sagen, dass es mir leidtut“, erklärte der
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