Leben im Käfig (German Edition)
nicht immer, wenn sie online waren. Manchmal blieben sie im Chat hängen und unterhielten sich über Gott und die Welt. Einzig ihre persönlichen Geschichten sparten sie aus. Das war Andreas recht. Sein Instinkt verriet ihm, dass Sascha nicht ausschließlich der gut gelaunte Clown war, den er meistens gab. Es kam ihm manchmal vor, als gäbe es hinter dem Licht auch etwas Dunkelheit.
An diesem Spätnachmittag waren sie eher albern als effektiv. Statt ihrem Computerspiel ernsthaft nachzugehen – was im Grunde eh ein Widerspruch in sich war -, machten sie Blödsinn, verloren aufgrund wahnwitziger Himmelfahrtkommandos gegen die anderen Teams und erzählten sich verrückte Geschichten.
Es war eine herrliche Zeit, die für Andreas ungewohnte Entspannung und Ablenkung brachte. Es tat gut, mit jemandem reden zu können und vor allen Dingen zu merken, dass er trotz aller Geheimnisse und Absonderlichkeiten geschätzt wurde. Zwar war er sicher, dass dieses enge Band wieder zerreißen würde, sobald Sascha zur Schule ging und andere Leute kennenlernte, aber das war nur ein Grund mehr, das Geschenk auszukosten, solange er es in Händen hielt.
Dass es ihm wehtun würde, wenn sie sich wieder entfremdeten, war ihm bereits jetzt schmerzlich bewusst. Er wollte Sascha nicht hergeben müssen.
„Wenn ich noch ein einziges Mal Törööö aus dem Nebenzimmer höre, muss ich mich leider erschießen.“
Aus dem drohenden Tief befreit lachte Andreas und schrieb zurück: „Bitte was? Was ist denn Törööö ?“
„Sina hat neuerdings eine Vorliebe für Benjamin Blümchen entwickelt. Ich dachte, die Serie gäbe es gar nicht mehr. Was für ein Schrott.“
„Wie, soll das etwa heißen, du stehst nicht auf Bibi Blocksberg und Konsorten? Hätte ich gar nicht gedacht“, tippte Andreas und grinste bei dem Gedanken, wie Sascha in seinem Zimmer saß und die Hände auf die Ohren legte, um den Hörspiel-Elefanten nicht mehr hören zu müssen.
„Depp. Du hast gut reden. Du kannst jederzeit einen Film einlegen und damit die Geräuschkulisse übertönen. Wenn ich nach unten gehe und From Dusk till Dawn einwerfe, habe ich ein Problem.“
Andreas legte bei dem Gedanken, dass es bei ihm im Haus gar keine Geräuschkulisse gab, die Stirn in Falten und antwortete ahnungslos: „Wieso das denn?“
„Weil Sina und Fabi vermutlich genau in der Sekunde auftauchen würden, wo Tarantino durch die Hand geschossen wird?“
Oh, nun verstand Andreas. Er selbst kannte diese Situation nicht. Zum einen hatte er keine Geschwister und zum anderen sah er nie im Wohnzimmer fern. Wozu hatte er sein eigenes Entertainment-Center? Zumal sein Bett zum Fernsehen ungleich bequemer war als die moderne, aber ungemütliche Couch, die seine Mutter für das Wohnzimmer ausgesucht hatte.
„Okay, du hast gewonnen. Armer Kerl. Du hast mein Mitgefühl.“
„Haha, spar dir deine Ironie. Ich habe eh nichts hier, was sehenswert ist.“
Andreas richtete sich auf, seine Augen begannen zu leuchten. Filme waren seine Leidenschaft. Schnell schrieb er zurück: „Was ist denn für dich sehenswert?“
„Alles Mögliche. Keine Schnulzen, eher Science-Fiction, Action, Horror und solche Sachen. Zuletzt habe ich 2012 , Inglorious Basterds und Avatar im Kino gesehen. Aber es gibt massig Filme, die ich noch nie gesehen habe. Das müsste ich mal alles nachholen.“
„Zum Beispiel?“ Mit der bisherigen Auswahl konnte Andreas eine Menge anfangen, was vermuten ließ, dass sie einen recht ähnlichen Filmgeschmack hatten. Sollte sich an dieser Stelle eine neue Verbindung zwischen ihn auftun?
„Mann, du kannst einem heute ja wieder Löcher in den Bauch fragen.“ Ein lachender Smiley folgte und entschärfte die Bemerkung. „Was weiß ich ... Bladerunner zum Beispiel.“
„Du hast noch nie Bladerunner gesehen?“ Andreas' cineastisches Herz lief Amok. „Das ist eine Bildungslücke. Ich habe hier beide Versionen stehen. Sowohl die alte Fassung als auch den Director's Cut.“
Hätte er geahnt, wie Sascha auf diese Offenbarung reagierte, hätte Andreas vielleicht den Mund gehalten – und es hinterher bitter bereut.
Bevor er den Schreck verdaut hatte, dass jemand nie dieses bahnbrechende Meisterwerk der Science-Fiction gesehen hatte, stand plötzlich auf seinem Monitor: „Echt? Leihst du mir den Film aus? Dann hätte ich heute Abend etwas, was ich mir nebenher auf dem Rechner anschauen kann.“
Rums. Überfordert starrte Andreas auf seinen Bildschirm, wusste nicht, was er sagen
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