Leben im Käfig (German Edition)
nicht. ... Entweder sie melden sich von alleine bei mir oder sie können mich mal. ... Das musst du schon allein klären, und wenn sie dich nicht gehen lassen wollen, weißt du ja, wie man am Rosengatter herunter in den Garten klettert. Ja, ciao. Ich schreib dir.“
Innerlich machte Andreas sich eine Notiz. Im Internet war es leicht gewesen zu vergessen, dass Sascha nicht aus freiem Willen nach Hamburg gekommen war. Seine Eltern redeten nicht mit ihm? Waren so wütend, nur weil sie ihn mit einem Mädchen erwischt hatten? Das war selbst für Andreas' Verhältnisse heftig.
„Meine kleine Schwester“, erklärte Sascha finster. „Jetzt, wo ich weg bin, haben meine Eltern Angst, dass sie bei ihr auch versagen könnten.“
„Versagen?“
„Na, dass sie auch so ein verkommenes Subjekt wird wie ich“, lachte Sascha bitter. „Noch eine Enttäuschung verträgt die Familie nicht.“
Darauf wusste Andreas nichts zu erwidern. Natürlich hätte er Sascha gern gesagt, dass er in seinen Augen ganz und gar nicht verkommen war – eher im Gegenteil. Aber er hatte Angst, dass sein Versuch zu trösten als Schwärmerei verstanden werden konnte. Stattdessen fragte er irritiert: „Rosengatter?“
„Sicher. Was bleibt einem anderes übrig, wenn man mal wieder die berühmte Kugel ans Bein gefesselt bekommen hat? Irgendwie muss man ja auf die Party kommen, nicht wahr?“ „Wenn du das sagst ...“
Dies war ein Thema, bei dem Andreas nicht mitreden konnte. Wegen ihm wurden Partys in den Garten verlegt und Nutten angeheuert. Klettertouren am Rosengatter standen nicht auf der Agenda.
„Ja, wie dem auch sei ... Wo waren wir stehen geblieben?“ Sascha wollte offenbar nicht weiter über seine Eltern reden. Niemand war eher bereit, solche Grenzen zu akzeptieren als Andreas.
„Bei der Frage, welchen Film wir uns jetzt ansehen.“
Zu einem Ergebnis kamen sie nicht. Bevor Sascha sich entscheiden konnte, erklangen Schritte auf der Treppe.
„Oh nein“, seufzte Andreas halblaut, als es klopfte. Kurz überlegte er, gar nichts zu sagen, aber er wusste, wie dieses Spiel ablief. Sagte er nichts, klopfte es in der nächsten halben Stunde sechs oder sieben Mal. Schnell erhob er sich und rief: „Ja, was denn?“
Margarete von Winterfeld steckte den Kopf zu ihnen herein, fand die Gestalt ihres Sohnes in der Nähe der Tür stehend und sagte vorsichtig: „Möchtest du vielleicht zum Abendessen zu uns kommen? Geht es dir ...“ Sie stutzte, sah zum Bett, auf dem Sascha faul und unbeeindruckt von ihrem Erscheinen lag. „Oh, hallo ... ich wusste nicht, dass du ... Besuch hast.“
Ihre Überraschung war ihr so deutlich anzusehen, dass Andreas plötzlich froh war, bereits das ein oder andere Detail aus seinem Leben mit Sascha geteilt zu haben. Im Nachhinein zu erklären, warum seine Mutter angesichts eines Gastes beinahe der Mund offen stehen blieb, wäre schwierig gewesen.
„Ma, das ist Sascha, er ist der Neffe von Tanja Holmes. Sascha, das ist meine Mutter. Und nein, ich möchte nicht mit euch essen“, versuchte Andreas es schnell hinter sich zu bringen.„Tanja wer?“, hakte Margarete nach und maß Sascha mit einem abschätzenden Blick. Sorge und Skepsis zeigten sich in ihrer Miene.
„Holmes! Unsere Nachbarin. Seit ungefähr zwölf Jahren oder länger“, stöhnte Andreas gereizt. „Du kennst sie. Groß, blond, zwei Kinder. Das weiß ja sogar ich.“
„Ja, sicher. Hallo, Sascha“, lächelte sie verlegen. „Gut ... ihr schaut fern? Soll Ivana euch etwas bringen? Du weißt, dass sie immer viel zu viel kocht.“
„Nicht nötig, danke. Und ach so, hallo“, griff Sascha ein. Er bemühte sich um ein verbindliches Lächeln, interessierte sich aber viel mehr für Andreas, der steif geworden war und eilig Raum zwischen sie gebracht hatte, als die Tür sich öffnete. Kerzengerade stand er am Fenster und hatte die Arme verschränkt.
Seine Körperhaltung sagte: Verschwinde endlich. Ob die Mutter die stumme Aufforderung verstand oder nicht, sie nickte Sascha noch einmal zu und schloss leise die Tür hinter sich.
Andreas stieß erleichtert die Luft aus und zerrte an dem schmalen Lederband an seinem linken Unterarm. Morgen erwarteten ihn neugierige Fragen. Das war so sicher wie das Amen in der Kirche. Wenigstens hatte seine Mutter ihn nicht vor Sascha auf sein Verhalten vom Morgen angesprochen. Ein wenig Taktgefühl besaß sie eben doch.
„Sie bekommt nicht wirklich viel mit, oder? Von dir, meine ich?“, fragte Sascha
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