Leben im Käfig (German Edition)
brauche jemanden, der zu mir steht.“
„Ey“, Katja zog einen Schmollmund, „ich stehe zu dir. Aber ich bin nicht so dämlich, lauter als ihr Streithähne schreien zu wollen. Das hat doch gar keinen Sinn. Außerdem bist du Mama ja eh haushoch überlegen. So rein vom Reden her.“
„Was soll das denn wieder heißen?“
„Dass sie sich gegen dich nicht wehren könnte. Selbst dann, wenn du nicht recht hättest, was du aber selbstverständlich hast“, beeilte Katja sich zu erklären. Sie hielt inne, beobachtete ihren Bruder und sagte sanft: „Geht dir ganz schön mies, oder? Aber hey, ich habe dir nichts getan.“
„Ich weiß.“
Aufgebracht lehnte Sascha sich gegen seinen Schreibtisch und schloss die Augen, atmete ein paar Mal tief ein und aus. Es war nicht fair, seine schlechte Laune an Katja auszulassen. Und sie hätte zugegebenermaßen nicht viel für ihn tun können. Immerhin musste sie am nächsten Morgen mit den Eltern nach Hause fahren und mit ihnen zurecht kommen.
Aber von seinem Vater hatte er sich nach ihrem Gespräch im Garten vor einigen Monaten mehr erhofft. Dass er seine Mutter bremste und in die Schranken wies. Hatte er aber nicht getan. Wie immer. Feigling.
Gott, er fühlte sich allein. Warum verstand sie ihn nicht? War es so schwer, ihn anzunehmen und gern zu haben? Früher hatten sie sich doch gut verstanden.
Seine Mutter war ein Bollwerk für ihn gewesen. Jemand, zu dem man jederzeit gehen konnte und der ihn in Schutz nahm, wenn die Nachbarinnen behaupteten, er und er allein hätte alle Streiche der Kinder der Nachbarschaft ausgeheckt. Jemand, der stolz zu seinen Elternabenden ging und sich die Kritik der Lehrer über sein freches Mundwerk gefallen ließ. Betonte, dass sie Wert darauf legte, dass ihr Kind sich zur Wehr setzen könne, solange es bei Worten blieb. Diese Mutter war verschwunden, war aufgegangen in eine Frau, die zu lange auf dem Dorf gelebt und sich in der Welt des Scheins verloren hatte.
Sascha fühlte sich schutzlos. Und er wollte ... brauchte ... jemanden, der Schutz bot. Auf seine ganz eigene Weise.
„Wenn ich du wäre, würde ich abhauen“, riss Katja ihn aus seinen Gedanken. „Eigentlich könntest du mich sogar mitnehmen.“ Vielsagend ließ sie ihre Wimpern fliegen.
Sascha musste beinahe lächeln. Katja nervte ihn seit zwei Tagen, weil sie unbedingt Andreas kennenlernen wollte. Aber daran war nicht zu denken.
Dabei wusste der Himmel, dass er Andreas unbedingt sehen wollte. Musste. Er hatte Sehnsucht nach ihm und seinem abgeschiedenen Zimmer. Über die Feiertage hatte Sascha ihn mehr denn je vermisst – so sehr, dass es ihm unheimlich war.
„Vergiss es. Ich habe dir schon einmal gesagt, dass das mit seinen Eltern nicht so einfach ist. Sie wissen nicht, dass wir zusammen sind. Wenn ich da während der Feiertage dauernd auftauche, riechen sie den Braten vielleicht.“
„Aber du hängst doch sonst auch dauernd da drüben“, gab Katja zu bedenken. „Wenn es danach ginge, müssten sie längst Bescheid wissen.“
„Nein, eben nicht. Sie sind normalerweise praktisch nie daheim. Da haben wir freie Bahn. Aber jetzt … Nein, ich will nicht, dass Andreas auch noch Schwierigkeiten hat.“
„Ich finde, Katja hat recht“, mischte sich eine neue Stimme von der Tür her ein. Tanja lehnte dort und lächelte schief. „Es würde dir gut tun. Und über die von Winterfelds brauchst du dir keine Gedanken zu machen, glaube ich. Die sind bestimmt schon wieder auf irgendeiner Wohltätigkeitsveranstaltung. Ich glaube nicht, dass sie viel Wert auf Weihnachten legen. Sie dekorieren auch nie das Haus. Dabei haben sie wunderschöne Tannen im Garten und die perfekten Fenster, um sie mit Schnee zu besprühen.“
Seine Tante klang so sehnsüchtig, wie Sascha sich fühlte.
Nervös warf er ihr einen Blick zu und spielte mit den Schlaufen seiner Jeans: „Du bist sauer auf mich, oder? Ich mache ganz schön Ärger. Ist es dir lieber, wenn ich eine Weile aus dem Haus bin?“
„Oh Gott, nein“, erwiderte Tanja müde. „Ich bin doch nicht wütend auf dich. Warum denn? Weil du dich wehrst? Nein, ich denke gerade eher darüber nach, meine eigene Schwester aus dem Haus zu werfen. Ich kann nicht glauben, wie leicht sie es sich macht.“ Sie ging auf ihn zu. „Ich würde dir nie etwas übel nehmen, was ich selbst an deiner Stelle nicht anders gemacht hätte.“
„Aber ich habe dir alles kaputtgemacht“, wisperte Sascha unbehaglich. Tanjas warmherzige Art tat auf ihre Weise mehr
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