Leben Ist Jetzt
sondern auch innerlich auf mich zu hören und jeweils im Einklang mit mir zu sein. Dann, so bin ich
zuversichtlich, werde ich lebendig bleiben und authentisch.
Altes lassen, damit Neues entsteht
Das Leben ist immer beides: Vergangenheit und Zukunft. Ich muss akzeptieren, dass manches vorbei ist und nicht mehr wiederholt werden
kann. Meine Jugend ist vorbei. Ich kann nicht mehr die gleichen Bergtouren machen, die ich als Jugendlicher unternommen habe. Ja, ich spüre, dass ich mir
nicht mehr das Gleiche zumuten kann wie noch vor fünf Jahren. Das ist ein Abschiednehmen von Vergangenem, das auch weh tut. Ich muss betrauern, dass
manches vorbei ist. Doch wenn ich betrauere, dass ich manches nicht mehr kann, entdecke ich zugleich das Potential, das Gott mir geschenkt hat und das in
meiner Seele bereit liegt.
Es ist nie zu spät, neu anzufangen. Mit jedem Augenblick fangen wir neu an. Auf der einen Seite muss ich akzeptieren, dass vieles in
meinem Leben geworden ist, das nicht rückgängig zu machen ist. Ich bin der geworden, der ich bin. Aber wie ich auf das, was ich geworden bin, reagiere,
was ich aus dem mache, was ich bin, das liegt an mir. Und das ist eine ständige Herausforderung. Anfangen heißt ja: jetzt mein Leben selbst in die Hand
nehmen. Das, was mir vorgegeben ist, in die Hand nehmen und es gestalten.
Papst Leo der Große hat das Geheimnis des Weihnachtsfestes so gedeutet, dass Gott mit uns einenneuen Anfang
feiert. Als Lateiner spricht er von „initium“. Das lateinische Wort für Anfang meint ein „hineingehen“. Die deutsche Sprache denkt an die Hände, die
etwas in die Hand nehmen und gestalten. Die Lateiner denken an das Gehen. Wir gehen immer wieder neue Wege. Wenn Gott in uns geboren wird, dann fängt das
Leben in uns neu an, dann gehen wir in einen neuen Bereich hinein. Wir sind nicht festgelegt durch die Vergangenheit. Wir können neue Wege gehen. Unser
Leben bekommt einen neuen Glanz.
Unser Leben ist ein ständiges Sterben und Neugeborenwerden. Altes muss gelassen werden und Neues will entstehen. Altes muss absterben,
damit das neue Leben zu blühen beginnt. So dürfen wir die Hoffnung nie aufgeben, dass unser Leben in die ursprüngliche Gestalt hineingelangt, die Gott
sich von uns gemacht hat. Es ist nie zu spät, neu anzufangen. Aber der neue Anfang hebt die Vergangenheit nicht auf. Er formt sie nur um, er gestaltet sie
so, dass das reine Bild Gottes in uns aufleuchtet. Nicht nur wir selbst können immer wieder einen neuen Anfang setzen. Gott selbst fängt mit uns neu
an. Er schenkt uns sein unverbrauchtes göttliches Leben, um unser Leben zu erneuern.
Ich höre immer wieder die Klage von alten Menschen, dass ihre Lebensträume zerbrochen sind. Siekonnten ihre
Lebensträume nicht verwirklichen, aus welchen Gründen auch immer. Oft ist da ein resignierender Ton in ihren Erzählungen. Das Leben ist so anders
gelaufen, als sie es geplant und erhofft hatten. Ich sage dann immer, dass die ursprünglichen Lebensträume zwar nicht verwirklicht worden sind. Aber die
Essenz, die in dem Lebenstraum steckte, die ist noch in ihnen. Und es ist ihre Aufgabe, jetzt , in diesem Augenblick, die Essenz dieses
Lebenstraumes zu leben und sie zu verbinden mit dem, was sie gelebt haben. Das, was sie gelebt haben, war nicht umsonst. Das hat ihre Erfahrung
bereichert. Und jetzt geht es darum, wieder an den ursprünglichen Traum heranzukommen und sich zu fragen, wie ich ihn heute leben kann. Ich kann mein
Leben nicht rückgängig machen. Aber ich kann das bisher Gelebte mit dem verbinden, was in mir noch schlummert und noch nicht so zum Leben gekommen ist,
wie ich mir das vorgestellt habe.
Wichtig ist es, die Krise der Lebensmitte bewusst zu erleben
Die Lebensmitte spielt eine bedeutsame Rolle in der eigenen Wahrnehmung des Älterwerdens. Es kann für jeden eine andere Erfahrung
sein. Für den einen ist es ein erschrecktes Innehalten, das mit Angst erfüllt ist und auf die eigene Endlichkeit, auf die Begrenztheit der Zeit
hinweist. Für andere ist sie eher ein positives Innehalten, das in einer Art Rück- und Vorblick den Sinn des Ganzen bewusst macht.
C. G. Jung hat die Lebensmitte als entscheidende Phase im menschlichen Leben überhaupt gesehen. Unsere biologische Lebenslinie ist wie
ein Halbkreis. In der Lebensmitte ist sie am Höhepunkt angekommen. Wer das nicht wahrhaben will, dessen psychologische Lebenslinie wird nach unten
einknicken. Nur wer
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