Leben Ist Jetzt
wohl nicht nur für sie: Obwohl sie gedacht hatte, sie hätte sich auf den Ruhestand vorbereitet, traf sie dieser Einschnitt in ihrem Leben doch
großenteils unvorbereitet. Ihre Stimmung wurde eher depressiv. Ihre Reaktion: Sie hat die Leere, die jetzt entstand, mit Arbeit zugeschüttet. Das
Schwierigste an der Erfahrung der Pensionierung war für sie, dass sie nicht mehr dort war, wo Entscheidungen fallen. Sie konnte nicht mehr mit bestimmen
und gestalten.
Wie geht man mit einer solchen Erfahrung um? Klara Obermüller plädiert dafür, dass man solange arbeiten solle, wie man Lust
hat. Allerdings sollte man, so meint sie, seine eigenen Grenzen gut kennen und beachten. Man sollte ein Gespür dafür entwickeln, wann es genug ist mit der
Arbeit. Und sie stellt die skeptische Frage: „Wann stelle ich fest, dass ich nachlasse, dass meine Arbeit nicht mehr das Niveau hat, das ich oder die
Leute von mir erwarten? Und wer sagt es mir dann? Das ist ein Problem, das mich sehr beschäftigt.“
Wir sollten heute sicher fließendere Grenzen zwischen Arbeit und Pensionierung schaffen. Inunserem Kloster machen wir die Erfahrung,
dass die Mitbrüder arbeiten können, solange sie wollen. Doch irgendwann gibt es den Zeitpunkt, wo es ihnen schwer fällt, sich einzugestehen, dass sie die
Arbeit nicht mehr machen können, sei es weil die Augen nachlassen oder weil die Hände nicht mehr so geschickt sind. Wenn einer sich dann nur von der
Arbeit her definiert hat, tut er sich schwer, sich auf etwas anderes einzulassen. Auch für die Umgebung wird es dann immer schwieriger, richtig damit
umzugehen.
Jede Lebensphase hat ihre eigene Herausforderung
In der Kindheit geht es darum, sich dem Leben anzuvertrauen, Vertrauen zu Vater und Mutter und dadurch zum Leben überhaupt und zu den
Menschen zu gewinnen. In der Jugend ist es unsere Aufgabe, die eigene Identität zu entwickeln und sich auszustrecken nach etwas, das größer ist als wir
selbst. Wir brauchen als Jugendliche Vorbilder und Ideale, um unsere eigenen Kräfte zu entfalten und unseren Stand im Leben zu finden. Der Erwachsene hat
die Aufgabe, Frucht zu bringen, einmal in der Familie, die er gründet, und in den Kindern, die er bekommt, zum anderen in dem Werk, das er vollbringt. In
der Lebensmitte gibt es eine Neuorientierung. Der Weg geht von außen langsam nach innen. Ich brauche einen neuen Sinn in meinem Leben. Der kann nicht mehr
nur im äußeren Aufbau bestehen. So gilt es, ab der Lebensmitte sich mit dem Älterwerden und Sterben auseinander zu setzen und Zugang zum eigenen Innern zu
finden. Im Alter geht es dann darum, das Werk loszulassen, das man aufgebaut hat, Beziehungen loszulassen, die eigenen Kräfte, die Macht und den Einfluss
loszulassen, die man hatte, damit das Neue des Alters sich entfalten kann. Diese Neuheit des Alters besteht in der Weisheit, Milde, Gelassenheit und
Freiheit.
Das Alter selber hat wiederum verschiedene Phasen. In der Phase der Pensionierung geht es darum, die Arbeit und die
Bedeutung, die man in der Arbeit hatte, loszulassen und sich etwas Neues aufzubauen. Pensionäre sind ja oft noch rüstig. Sie sollen sich Aufgaben suchen,
für die sie sich engagieren können. Die zweite Phase beginnt bei jedem zu einem anderen Zeitpunkt, beim einen mit 70, beim anderen mit 75, beim Nächsten
erst mit 80. Man spürt, dass man sich auch von den neuen Aufgaben zurückziehen muss, weil man sie nicht mehr zufriedenstellend leisten kann oder weil
andere Schritte fällig sind, Schritte nach innen, in die Stille, in das bloße Sein. Und schließlich gibt es die dritte Phase, in der man möglicherweise
die Krankheit akzeptiert und durchleidet bis zum Tod. Auch diese Phase sieht bei jedem anders aus. Dem einen ist eine längere Krankheit erspart. Er geht
ziemlich schnell von der Aktivität in die Passivität und in den Tod über. Bei anderen tritt eine Phase körperlicher oder aber auch geistiger Hilflosigkeit
dazwischen. Solche Phasen in guter Weise zu bewältigen ist eine eigene Aufgabe. Und dazu kann gehören, selbst unsere Selbstverfügung und Selbstbestimmung
loszulassen, unser Bewusstsein aufzugeben, damit wir ohne allen äußeren Schein in die Tiefe unserer Seele gelangen, fern von allem, was wir noch
kommunizieren können.
Jede Phase hat ihre eigenen Ängste, ihre eigenen Hoffnungen
Jedes Alter kennt seine eigene Herausforderung. Jedes Alter kennt aber auch seine spezifischen Ängste und Hoffnungen.
Weitere Kostenlose Bücher